Es ist kein Small Talk, was passiert, wenn eine Profilerin und ein Wissenschaftler die Bühne betreten? Es wird spannend, ehrlich, unbequem – und verdammt hörenswert.
Der Podcast „Talk im Hörsaal“ zu präsentieren – mit Dr. Mag. Marlon Possard und Mag. Patricia Staniek, BBA. Zwei Stimmen, zwei Perspektiven – ein Ziel: Wahrheit, Aufklärung und der Blick hinter die Fassade.
Unser erster Gast:
Mag. Wolfgang Marx, renommierter Kriminalpsychologe.
Wir sprechen über Tätermotive, die dunkle Seite der Psyche und darüber, warum wir Menschen manchmal Dinge tun, die wir selbst nicht verstehen.
Der Podcast „Talk im Hörsaal“ zu präsentieren – mit Dr. Mag. Marlon Possard und Mag. Patricia Staniek, BBA. Zwei Stimmen, zwei Perspektiven – ein Ziel: Wahrheit, Aufklärung und der Blick hinter die Fassade.
Unser erster Gast:
Mag. Wolfgang Marx, renommierter Kriminalpsychologe.
Wir sprechen über Tätermotive, die dunkle Seite der Psyche und darüber, warum wir Menschen manchmal Dinge tun, die wir selbst nicht verstehen.
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NewsTranskript
00:00Der erste Gast im Talk im Hörsaal mit Dr. Malum Possert und Mag. Patricia Stanjek ist Kriminal-
00:11und Rechtspsychologe, klinischer Psychologe am Anton-Prox-Institut. Außerdem agiert er als
00:18Notfallpsychologe, Sexualtherapeut, Lehrbeauftragter in den Bereichen Kriminalpsychologie, Notfallpsychologie
00:27und Sucht. Herzlich Willkommen Mag. Wolfgang Marx. Lieber Herr Mag. Marx, heute geht es um das Thema
00:36Kriminalpsychologie und sexuelle Gewalt und ich möchte gleich in Medias Res mit Ihnen gehen. Meine
00:42erste Frage ist, was passiert im Kopf eines Menschen, der übergriffig wird in dem Moment, wo er die Grenze
00:49überschreitet? Die Grenze wozu? Also die Grenze zur Gewalt, die Grenze zum Sexualverbrechen. Das, was
00:58passiert, das passiert schon viel früher, weil in Wirklichkeit spielt sich davor, gerade bei
01:02Sexualdelikten, sehr, sehr viel und meistens über lange Zeit und lange Jahre als was im Kopf
01:08beziehungsweise in der Fantasie ab. Das heißt, das ist eine Fantasieentwicklung, gerade bei Sexualdelikten
01:13und die sind sehr mannigfaltig. Also es gibt Delikte, sozusagen angefangen, Vergewaltigungsdelikte,
01:18Kindesmissbrauchsdelikte, sexuell assoziierte Tötungsdelikte, parafile Delikte, die man nicht
01:23alle in den Topf schmeißen kann. Und hinter den meisten steckt eine lang sozusagen gediente
01:29Fantasie, die irgendwann einmal in seltenen Fällen, das muss man immer wieder dazu sagen,
01:34dann wirklich in die Tat umgesetzt wird. Weil sexuelle Fantasien haben wir alle. Und die finden
01:39wir bei jedem Menschen, die finden wir sozusagen in unterschiedlichen Ausformungen und nur
01:44in seltenen Fällen, während so deviante Gewaltfantasien tatsächlich auch, ich sage mal, ohne Zustimmung
01:50eines potenziellen Gegenübers, eines Opfers quasi dann auch wirklich ausagiert.
01:56Was braucht es, dass es von der Fantasie zur Realität wird?
02:01Diese Frage, die beschäftigt uns schon sehr, sehr lange. Da ist immer wieder die Frage, was
02:06ist genetisch angelegt, was bedingt die Umwelt? Wir wissen zum Beispiel, dass Missbrauchsopfer
02:12eine viel höhere Wahrscheinlichkeit haben, wenn es Männer sind, selber zum Täter zu werden,
02:17beziehungsweise bei den Frauen dann später zum Opfer zu werden. Also wir wissen, dass die
02:21Umwelt und die Sozialisationsfaktoren einen großen Einfluss hat. Beim Thema Gewalt ist es
02:26etwas, das wir häufig lernen, also wirklich am Beobachten an unseren Bezugspersonen, wie wir
02:31aufwachsen, dass etwas sozusagen wir mitnehmen, als Konfliktbewältigungsstrategie mit Gewalt
02:37Konflikte zu lösen. Also das heißt, wir haben hier sehr viel erlerntes, sehr viel sozialisiertes
02:42Verhalten dabei. Das heißt, man könnte sagen, dass jemand, der mit einer negativen oder schlechten
02:47genetischen Ausstattung, der in einem sehr positiven Umfeld aufwächst, ich sage mal wahrscheinlich
02:53eine sehr, sehr positive Entwicklung machen wird. Umgekehrt ist die Wahrscheinlichkeit, wenn
02:58jemand, der, ich sage mal, mit genetisch gut ausgestattet ist und in einem sehr schlechten
03:03Umfeld aufwächst, dass er später mal deviant gewalttätig übergriffig werden könnte, viel, viel höher.
03:09Ich möchte bei Patricias Frage anknüpfen. Häufig hört man ja auch, dass sexuell motivierte
03:16Gewalt ja auch viel mit Macht zu tun hat. Und jetzt würde mich interessieren, was unterscheidet
03:21in Ihrer Arbeit speziell einen sexuell motivierten Täter von einem machtmotivierten Täter? Kann man
03:27es unterscheiden? Ja, das Thema Macht sozusagen, da geht es sehr häufig um sexualisiertes
03:33Verhalten, wo das Bedürfnis nicht Sexualität ist, sondern wo das Bedürfnis eben die Machtausübung,
03:38die Dominanzausübung, die Unterwerfung ist und das Verhalten sozusagen nur dafür dient,
03:43das auch wirklich ausagieren zu können. Bei Sexualität gehen wir auch davon aus, dass wir
03:48sexuelles Verhalten am Tatort finden müssen. Wir glauben aber zum einen, dass Sexualität muss
03:54so aussehen, wie wir das im Kopf haben, dass Sexualität aber für einen Täter was ganz
03:59was anderes sein kann, wie beispielsweise auch das Ab- oder Zerschneiden von sexuell relevanten
04:04Körperteilen, das mit Bissspuren übersehen. Das sind Sexualverhaltensweisen, die wir per
04:11se jetzt nicht als sexuell konnotieren würden, die es aber für Täter tatsächlich sind.
04:15Und umgekehrt ist es genauso. Wir finden sexualisiertes Verhalten, das eigentlich nicht primär
04:20sexuell orientiert ist, sondern wo es um Machtausübung geht, wo es um Dominanzausübung
04:25geht, wo es um sadistische Arten der Sexualität geht, die dann letztlich aber häufig auch vom
04:31Täter dann wirklich als sexuell erregend erlebt wird.
04:34Was sehr spannend ist, was Sie gerade erwähnt haben bereits, ist dieses Stichwort Tatort.
04:38Wir leben in einer Zeit der Digitalisierung, der neuen Technologien und jetzt verschiebt sich
04:44ja auch gleichsam irgendwie dieser Tatort. Wir haben es heute mit Social Media zu tun,
04:48wir haben es mit neuen Räumen zu tun, sprich Anonymität auch, ja, im Netz, ja, im digitalen
04:55Zeitalter. Und wie entwickelt sich hier sozusagen Ihre Arbeit weiter? Auf was müssen Sie hier
05:01noch mehr Acht geben, jetzt auch im Rahmen der TäterInnen-Entwicklung online beispielsweise?
05:07Also der Tatort bleibt in etwa immer gleich, weil der Tatort ist dort, wo ich menschliches
05:12Verhalten beobachte. Und es ist egal, ob das jetzt, ich sage einmal, in einer Wohnung
05:16ist, wo ein Gewaltdelikt passiert ist oder ob das jetzt online ist. Online ist es nur
05:20natürlich viel schwerer nachzuvollziehen. Wir müssen auf einen konkreten Tatbestand
05:25hingehen, ja. Also wenn wir uns den Tatort anschauen, dann sehen wir sozusagen Verhaltensweisen
05:29von Tätern vor Ort, die wir eindeutig dem Täter zuordnen können. Und das können wir
05:34kriminalpsychologisch analysieren und versuchen etwas über die Täterpersönlichkeit und seine
05:38Bedürfnisse auszusagen. Wenn Sie jetzt im Internet ein Täterverhalten haben, das Sie
05:43einem Täter eindeutig zuordnen können, dann kann man es im Prinzip genauso machen. Das
05:47Problem ist nur, dass im Internet ja oft sehr, sehr viele Menschen als Tatverdächtige
05:52beziehungsweise als Täter zur Verfügung stehen.
05:54Sieht man das eher auch bei Jugendlichen, dass die sich eher in diese digitalen Räume zurückziehen?
06:00Natürlich. Also das heißt, wir haben es mit Jugendlichen zu tun, die sie heute, also ich
06:04könnte mich dorthin wahrscheinlich nicht zurückziehen, wo sich Jugendliche heute schon gut
06:08auskennen, sei es jetzt die sozialen Medien oder was auch immer. Also das sehen wir natürlich
06:12heute, das hat sich verändert. Aber wie gesagt, Sexualdelikte, also da sind wir beim Thema
06:18Grooming, also das heißt das Anbahnen im Internet, um dann letztlich irgendwie Kontakt aufzunehmen.
06:24Aber auch da muss man wirklich unterscheiden, sozusagen, was findet dann tatsächlich statt
06:29und was bleibt in der Fantasiestrecke.
06:30Also wie der Fantasie macht, Patricia, wie du vorher schon erwähnt hast?
06:34Genau so ist es. Wie viel sexuelle Gewalt ist tatsächlich Sexualität und wie viel davon
06:41ist eine Machtdemonstration?
06:44Das kann man natürlich nicht definieren. Ja, weil wir wissen ja, sexuelle Gewalt wird
06:48ja im Dunkelfeld ausgibt. Wir glauben ja sozusagen, wenn es einen Sexualstraftäter gibt, das ist
06:53jemand, der in der Nacht hinter einem Baum steht und dann irgendwo jemanden auflaut, den er noch
06:58nie zuvor gesehen hat, so wie die Jockerin im Park oder so. In Wirklichkeit passieren die meisten
07:03Sexualdelikte in der Familie. Und die Täter sind tatsächlich diejenigen, die man auch
07:08kennt. Nur dementsprechend findet das ja alles im Dunkelfeld oder sehr viel davon im Dunkelfeld
07:13statt. Heute weniger, Gott sei Dank, als wahrscheinlich früher, weil die Anzeigenrate auch gestiegen
07:18ist ein Stück weit. Aber dennoch, der Großteil bleibt noch immer im Dunkelfeld. Das ist immer
07:23dann der Fall, wenn wir es mit Tätern zu tun haben, die den Opfern, ich sage mal persönlich,
07:27nahe stehen, weil da die Anzeigenquote kaum über 20 Prozent hinausgeht. Und deswegen lässt sich diese
07:33Frage letztlich auch nicht beantworten, weil wir wissen ja nicht einmal, wie groß die Anzahl aller,
07:38ich sage mal, Sexualdelikte tatsächlich ist. Wir dürfen ja nicht von der Anzeigenrate ausgehen,
07:43weil, wie gesagt, das ist ja nur ein Bruchteil dessen an tatsächlich verübten Sexualdelikten.
07:48Da passiert ja wahnsinnig viel anonym, viel in der Fantasie. Kann das Umfeld aber dennoch
07:54Redflags erkennen? Gibt es Redflags?
07:57Für Sexualdelikte? Ja.
07:59Ja, weil, wie gesagt, diese Fantasieentwicklung sich mitunter auch ein Stück weit äußert.
08:03Das ist so ähnlich wie bei Amokdaten auch, wo dann letztlich irgendwann einmal der Druck
08:08so weit steigt, dass Warnhinweise, so diese Redflags, die Sie angesprochen haben, nach außen
08:13dringen. Also wir sehen das in der Entwicklung zum Beispiel bei Sexualdelikten.
08:18Wänden, die dann irgendwann einmal gewalttätig geworden sind, die zunächst begonnen haben,
08:22das in der Fantasie auszugestalten, die sich Zeichnungen gemacht haben, die Fotos, sexualisierte
08:28Fotos, entsprechend Verletzungsspuren eingezeichnet haben. Also gerade beim Thema sexueller Sadismus
08:32ist es eine Entwicklung, die sehr lange geht. Aber ich möchte noch einmal betonen, in den
08:37seltensten Fällen kommt es dann wirklich, ich sage mal, zu einer Deliktserie wie bei
08:40Herrn Unterweger beispielsweise in den 90er Jahren, wo dann wirklich jemand als Serientäter
08:45über eine längere Zeit aktiv ist. Sondern in den meisten Fällen reichen diese sexuellen
08:51Fantasien aus, um diese, ich sage mal, ein Stück weit Deviantenbedürfnisse sexueller
08:55Natur auch zu befriedigen.
08:56Sie haben da gerade ein wichtiges Thema angesprochen, Check Unterweger oder Fritzl zum Beispiel.
09:02Sind solche psychologischen Erkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen heilbar oder wie weit
09:08sind sie heilbar?
09:08Ja, man glaubt immer wieder, wenn jemand eine Persönlichkeitsstörung hat, dann hat
09:12er die ein Leben lang. Das stimmt so nicht ganz. Aber sie sind schwer veränderbar.
09:18Weil wir wissen also, jeder von uns hat eine Persönlichkeit und unterschiedliche
09:21Persönlichkeitsanteile. Eine Persönlichkeitsstörung muss man sich so vorstellen, dass einzelne Anteile
09:26so stark ausgeprägt sind, dass sie in der Interaktion mit anderen Menschen quasi irgendwann einmal
09:31für den Betroffenen zum Nachteil werden. Also zum Beispiel, wenn jemand so narzisstisch ist,
09:34dass er ständig nur über sich spricht, dann wird er möglicherweise irgendwann einmal,
09:40wenn er nichts vorzuweisen hat, von der Gesellschaft abgelehnt werden. Und dann sozusagen hat er
09:43hohe Kosten durch seine Störung. Jetzt ist es etwas, das über lange Zeit gewachsen ist
09:48und was sich nicht von einem auf den anderen Tag ändert, auch in der Therapie nicht. Also
09:52wir wissen, dass die Therapie bezüglich Persönlichkeitsstörung eine jahrelange ist und wie gesagt
09:58Persönlichkeitsanteile sich ein Stück weit abmindern können oder dass jemand weniger beeinträchtigt
10:03ist. Aber das heißt auch nicht, dass es sozusagen überhaupt nicht therapierbar ist. Es ist schwierig
10:08und das hängt, ich sage mal, vom Ausmaß ab. Man muss einmal eine gute Beziehung zu dem
10:12Klienten herstellen und dann mit der Zeit sozusagen ihn dazu bringen, dass er seine Persönlichkeitsstörung
10:17hat, überhaupt das erkennen kann. Weil die meisten Persönlichkeitsstörungen sind, wir
10:21sagen dazu, Ich-Symptom. Nämlich, dass die Betroffenen glauben, nicht ich bin das Problem,
10:25sondern alle anderen. Die kommen dann in Therapie und sagen, jetzt habe ich schon wieder
10:29Beziehung in den Sand gesetzt, beziehungsweise ich wurde schon wieder verlassen. Es ist immer
10:33der falsche Mann oder die falsche Frau, an die ich gelange. Und sehen aber nicht, dass
10:36sie tatsächlich das selbst herbeiführen im Prinzip. Um das einmal erkennen zu können,
10:41das ist ein Riesenschritt in der Therapie der Persönlichkeitsstörung. Es ist auf jeden
10:44Fall eine sehr, sehr lange oder langfristige Angelegenheit. Heißt aber nicht, dass es nicht
10:50möglich ist, dass sich da etwas bessert.
10:51Ja, sehr, sehr spannend. Vor allem auch für viele ist es nicht greifbar, diese Themen.
10:57Also Sie sind Experte, Sie haben alltäglich mit diesen Themen zu tun. Spannend, was mich
11:01interessieren würde, vor allem jetzt eine ganz konkrete Frage. Was passiert eigentlich,
11:07wenn man das überhaupt so sagen kann, im Kopf eines Menschen, der übergriffig wird?
11:10Also in dem Moment, in dem er diese Grenze, von der man häufig spricht, eigentlich überschreitet.
11:15Da geht es ja viel um Impulse, um Impulskontrolle, Neuropsychologie, denke ich mir. Wie kann man
11:21dieses Thema einordnen?
11:24Also das ist sehr komplex. Also ich gehe davon aus, dass jeder Mensch in der Lage wäre,
11:28einen anderen Menschen, ich sage mal, gewalttätig zu begegnen, beziehungsweise ihn sogar umzubringen.
11:34Es hängt nur von der Situation ab. Stellen Sie sich vor, Sie kommen in eine Situation, wo Sie
11:38sich selbst verteidigen müssen oder wo Sie Ihre Lieben verteidigen. Ich denke, da wäre jeder
11:42von uns in der Lage, sozusagen massive Gewalt anzuwenden, um sich oder andere zu schützen.
11:47Jetzt gibt es natürlich unterschiedliche Einflussfaktoren, die auch noch eine Rolle spielen.
11:52Ich komme jetzt gerade aus der Klinik und habe gerade das Ärgermanagement gemacht.
11:55Das ist so ein Anti-Aggressionstraining bei uns im Haus. Und wir haben jetzt gerade darüber
11:59gesprochen, wie zum Beispiel Alkohol sich auch auf diese Schwelle sozusagen, wo überschreite
12:05ich eine Schwelle zur Gewalt, wie sich das auswirkt. Also es gibt unterschiedliche Substanzen,
12:09die eben die Impulskontrolle, die Sie gerade angesprochen haben, beeinflussen. Und das sind
12:14eben Suchtmittel. Oder aber auch zum Beispiel präfrontale Kortex-Schäden. Also das heißt,
12:18wenn dahinter der Stirn irgendwas kaputt ist, sei es auch durch Substanzen wie Alkohol,
12:23dann ist die Impulskontrolle auch beeinträchtigt. Oder durch medizinische Krankheitsfaktoren.
12:28Das heißt, es ist ein Konglomerat von unterschiedlichen Faktoren, die hier eine Rolle spielt, sodass wir
12:33nicht sagen können, es gibt einen Auslöser, sondern es gibt ganz viele, die unterschiedlich
12:37zusammenspielen. Was mich vor allem als Jurist und als Rechtswissenschaftler auch interessiert,
12:42wir haben häufig auch zu tun mit der Frage der Schuldfähigkeit beispielsweise. Da geht
12:46es ja auch häufig darum, sozusagen, ist jemand schuldfähig oder nicht. Würden Sie aktuell
12:51in Österreich vor allem auch diese therapeutischen Maßnahmen, die es ja in der forensisch-therapeutischen
12:56Zentren jetzt, wie sie heißen, auch gibt, als genügend einschätzen? Oder gibt es da definitiv
13:02Verbesserungsbedarf aktuell?
13:03Also ich denke, gerade im Justiz- und Maßnahmenvollzug gibt es definitiv Verbesserungsbedarf.
13:09Deswegen hat mir das Maßnahmenvollzugsgesetz auch angepasst jetzt. Ich kenne das relativ
13:14gut aus Deutschland, wo ich selber tätig war. Also dort ist es der Maßregelvollzug und
13:18da sind es wirklich, so wie jetzt in Österreich, zunehmend auch mehr forensisch-therapeutische
13:23Krankenhäuser. Man könnte sagen, Hochsicherheitskliniken. In Österreich hatte das bislang immer so den
13:29Justizvollzugstatsch, auch wenn es eine Maßnahmenabteilung war, beziehungsweise wie in Göllersdorf. Wir haben
13:35ja unterschiedliche Maßnahmen, die wir vollstrecken. Das ist für die Zurechnungsunfähigen quasi nach
13:40§ 21.1, die aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung gar nicht in der Lage sind, das Unrecht
13:46ihrer Tat einzusehen und dementsprechend handeln, die nicht bestraft werden können. Und wir haben
13:51die Maßnahme zusätzlich zur Strafe, weil wir davon ausgehen, dass jemand auf Dauer gefährlich
13:56bleiben wird, der ist zwar zum Dauerzeitpunkt zurechnungsfähig, wird aber sozusagen mit
14:01unseren heutigen therapeutischen Möglichkeiten möglicherweise nicht erreicht werden. Und
14:05da bietet mir die Maßnahme die Möglichkeit, längerfristig jemanden, ich sage mal, durchaus
14:10freiheitszubeschränken. Wir haben in Österreich ein Riesenproblem gehabt, dass die Maßnahmenabteilungen
14:18aus allen Nähten geplatzt sind, weil ja kein Gutachter mehr jemanden, der insbesondere, wenn
14:24dann irgendein Präzedenzfall passiert ist, jemanden aus der Maßnahme entlassen hat, weil
14:28er gesagt hat, naja, also ich gehe lieber auf Nummer sicher und die sollen alle drinnen
14:32bleiben. Das hat dazu geführt, dass die Maßnahmenabteilungen, wie gesagt, aus allen Nähten geplatzt sind.
14:37Deswegen hat man es jetzt anpassen müssen und hat jetzt quasi die Anspruchsvoraussetzungen
14:42beziehungsweise die Eingangsvoraussetzungen in die Maßnahme hinuntergesetzt und hat das Problem
14:46jetzt quasi in die Akutpsychiatrien verschoben. Das heißt aber nicht, dass wir weniger Probleme
14:51haben, sondern wir haben einfach viele Menschen, die psychisch krank sind und die Behandlung
14:55brauchen, damit sie nicht mehr gefährlich sind. Es fehlt nur, wie häufig halt so oft,
15:00ich sage mal, an den finanziellen Mitteln, das auch zu unterstützen, gerade im Strafmaßnahmenvollzug.
15:05Vor allem denke ich mir natürlich auch, gerade im Rahmen der Resozialisierung, ja, ich meine,
15:10der Mörder oder die Mörderin von heute könnte dann morgen mein Nachbar sein, sozusagen,
15:14oder? Also wie läuft das ab?
15:16Vielleicht ist es ja schon, ja. Also ich habe auch natürlich mit solchen Herrschaften
15:21zu tun gehabt und man muss immer anschauen, mit welchem Delikt hat man es zu tun, ja.
15:28Selbst ein Tötungsdelikt, ein und ein zweites Tötungsdelikt sind nicht ident und haben
15:32nicht die gleiche Rückfallswahrscheinlichkeit. Wenn jetzt jemand, ich sage mal, seine verhasste
15:36Ex-Frau in einem Scheidungskrieg ersticht, ist das eine andere Rückfallswahrscheinlichkeit,
15:41als wenn jemand aus sexuell-satistischen Motiven, weil wir vorher den Check-Unterweger-Fall
15:46angesprochen haben, Frauen oder Prostituierte ermordet, ja. Also das heißt, Tötungsdelikte
15:52auch miteinander zu vergleichen, ist sehr schwierig, sondern da muss man die Motivation
15:55anschauen, die hinter solchen Taten steckt.
15:59Was mich jetzt besonders interessiert, beziehungsweise sind jetzt zwei Fragen bei mir aufgepoppt.
16:03Frage Nummer eins, wo kommt es her? Ist es Anlageumwelt? Also gibt es ja schon pränatale
16:10genetische Prägungen oder entsteht es erst durch die Umwelt?
16:14In Wirklichkeit, die Antwort ist, um ehrlich zu sein, wir wissen es nicht. Es hat höchstwahrscheinlich
16:19beides einen Einfluss. In der Psychologie ist es immer so, dass man sagt, naja, so zwei
16:24Drittel Umwelt, Sozialisierung und ein Drittel Genetik. Man hat ja lange geforscht und hat
16:30gesagt, okay, es gibt vielleicht ein zusätzliches Y-Chromosom und das ist dafür verantwortlich,
16:34dass jemand zum Straftäter wird oder gerade bei den Männern sehr prominent das Testosteron,
16:39weil wir wissen, dass acht bis neun aller schweren Gewaltdelikte von Männern begangen
16:43werden. Also man könnte sagen, der beste Prädiktor, sozusagen gewalttätig zu werden,
16:48ist das männliche Geschlecht. Also das heißt, man hat hier viel geforscht, man ist nach wie
16:53vor dabei, aber wie gesagt, eine endgültige Antwort auf diese Frage, sozusagen wie viel,
16:58wofür verantwortlich ist, gibt es im Endeffekt nicht, weil es eben so multifaktorell als ursächlich
17:04zu sehen ist. Also solche Taten sind ja definitiv verurteilbar. Das heißt, man darf über so Taten
17:10nicht hinwegsehen, aber man hört immer dann wieder so Aussagen, der Täter hat es ja selbst
17:15erlebt. Es gibt ja auch Täter, die durch ihre eigene Opferbiografie, also sexuelle Gewalt
17:20fortsetzen. So quasi Täter-Opfer-Transformation oder transgenerationale Traumatiker, ethische
17:28Themen. Wie sehen Sie das? Naja, es gibt in Deutschland ein Projekt, das nennt sich Projekt
17:33Dunkelfeld, wo man versucht, quasi kein Täter zu werden, wo man Menschen, die pädophile
17:39Fantasien haben, anonymisiert ansprechen möchte, um sich Beratung zu holen, bevor sie eben
17:44übergriffig werden. Und da gibt es den schönen Satz, du bist nicht verantwortlich für deine
17:50Fantasien, aber du bist verantwortlich für dein Verhalten. Und dementsprechend, wie Sie
17:54gesagt haben, jeder ist sozusagen dafür verantwortlich, was er tut und wird natürlich auch dafür
18:00sanktioniert, wenn jemand aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung nicht in der
18:05Lage ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen, beziehungsweise sich nicht nach dieser Einsicht
18:10zu verhalten, also die Diskretions- und die Dispositionsfähigkeit, dann ist er vom Gesetzgeber
18:15als schuldunfähig zu sein und dann kommt statt der Strafe die sogenannte Maßnahme. Das heißt,
18:20man muss ihn behandeln, was aber nicht bedeutet, dass der nach Hause geht und weiterhin
18:24gefährlich bleibt, sondern er bleibt trotzdem in einem geschlossenen Raum, aber es ist nicht
18:27als Strafe, sondern als Behandlungsmaßnahme zu sehen.
18:31Am Beginn haben Sie erwähnt, da möchte ich noch einmal zurückkommen, was ich sehr spannend
18:35gefunden habe, dass natürlich auch diese sexualisierte Gewalt und so weiter ja vor allem auch im
18:39Familienbereich passiert. Also ich denke jetzt gerade klassisch an Ehemann, Ehefrau beispielsweise,
18:44wie wir es immer häufiger in Österreich auch erleben. Stichwort Femizide. Wie schätzen
18:49Sie da die aktuelle Situation ein? Es wird immer wieder von Femizin gesprochen, die ja
18:53zunehmen hier auch in Österreich. Was ist an dieser aktuellen Lage eigentlich dran, an
18:57dieser Situation?
18:59Also das ist ein sehr heißes Thema und ein sehr emotionales Thema und deswegen, ich sage
19:03es auch in den Vorträgen und Seminaren immer wieder, ich bin ein Fan davon, mich eher an den
19:07Zahlen zu orientieren. Und Sie haben vorher gesagt, die Femizide nehmen zu, die häusliche Gewalt
19:13nimmt zu, ist es wirklich so? Haben wir heute sozusagen wirklich mehr häusliche Gewalt,
19:18als es in den 60er, 70er Jahren gewesen ist? Oder wird tatsächlich nur, weil wir Gott sei
19:23Dank heute sensibler dafür sind und wir uns auch verantwortlich führen für den Nachbarn,
19:27wenn wir etwas mitbekommen, dass wir eine Anzeige erstatten? Und das war damals eben nicht
19:32so. Und häusliche Gewalt ist ein Thema und bleibt ein Thema, keine Frage. Und da müssen
19:36wir auch ansetzen. Da müssen wir nicht, ich sage mal, bei den Tätern nur ansetzen oder bei
19:39den Opfern, sondern wir müssen in den Kindergärten, in den Schulen ansetzen, wo wir sozusagen
19:43klar kommunizieren, hier gibt es eine Grenze. Und dann haben wir eine Chance in den nächsten,
19:48ich sage mal, 10, 20 Jahren, dass es hier sich wirklich was tut. Aber ich glaube nicht,
19:52dass es heute, und das sieht man auch, gerade auch bei den Femiziden und insgesamt bei den
19:56Tötungsdelikten, dass es sozusagen hier zu einer massiven Steigerung gekommen ist.
20:00Wir haben es hier nur mit einer Fluktuation zu tun. Das heißt, da wir insgesamt relativ wenig
20:05Tötungsdelikte haben. Wir sprechen von ungefähr 30, Pi mal Daumen 30 Femizide pro Jahr. Und
20:11wenn Sie jetzt, ich sage mal, 3, 4, 5 weniger haben oder 3, 4, 5 mehr haben, dann ist in der
20:15Statistik aufgrund der kleinen Grundgesamtheit ein Riesenausreißer. Das heißt, die Schwankungsbreite
20:21ist relativ hoch. Und dementsprechend, wir haben gesehen, dass es zwischen 2012 und 2018
20:27eine deutliche Steigerung gegeben hat. Aber seitdem hier auch wieder eine Abnahme. Nur in den
20:3180er Jahren war die Femizid- und auch die Tötungsdeliktsanzahl höher, als sie tatsächlich
20:36heute, beziehungsweise in den letzten Jahren war.
20:39Als Kriminalpsychologe sind Sie ja direkt am Ball. Das heißt, Sie sind direkt mit den
20:43Tätern konfrontiert, vermutlich auch mit den Opfern. Welche Verantwortung, denken Sie,
20:50tragen wir als Gesellschaft, wenn wir die Opfer nicht hören? Weil ich habe immer so den
20:54Eindruck, dass mehr die Täter gehört werden oder die Täter mehr in den Mittelpunkt kommen
20:58als die Opfer. Also welche Verantwortung tragen wir, wenn wir Opfern nicht hören,
21:02den Tätern glauben, weil sie so eloquent und glaubwürdig auch vor dem Richter oder
21:09vor der Justiz, sage ich jetzt mal, wirken?
21:12Also ich habe natürlich mehr mit den Tätern zu tun. Also mit den Opfern, Opfern früher
21:16vielleicht in meiner sozusagen Karriere als Notfallpsychologe beim Akutteam, wo wir es auch mit häuslichen
21:22Gewaltdelikten zu tun haben. Aber jetzt aktuell in meiner Tätigkeit, gerade mit dem
21:26Thema Suchtprävention ist Gewaltprävention, habe ich natürlich mehr mit den Tätern zu
21:30tun. Das heißt, ich kenne jetzt aktuell die Sicht der Täter ein Stück besser. Auf der
21:36anderen Seite, wie gesagt, darf man nicht in diese Richtung gehen, dass man sagt, man
21:40schenkt jetzt den Tätern mehr Aufmerksamkeit als den Opfern, was ja in True Crime oder
21:46solchen Sachen immer wieder passiert. Deswegen habe ich immer wieder gesagt, also wenn ich
21:50ein Interview zu einem Fall gebe, dann möchte ich sozusagen auch eine Frage zu den Opfern
21:54bekommen, weil ich weiß, oder es gibt Ansätze auch dahingehend, dass man sagt, wenn man
21:59ein Buch schreibt, zum Beispiel über einen entsprechenden Kriminalfall, dann soll auch ein gewisser
22:04Amount quasi an dem Betrag, den man da erhält, den Opfern zugutekommen. Und das finde ich
22:09einen sehr, sehr guten Ansatz. Das heißt, wenn man über Täter berichtet, ich sage mal, dass
22:13indirekt auch die Opfer sozusagen was davon haben, weil die wären sonst quasi sehr
22:16sekundär traumatisiert durch Berichterstattungen, Fernsehserien oder was auch immer da sozusagen
22:21im True Crime Bereich passiert.
22:23Was würden Sie sich wünschen von Ermittlern, Richtern und Medien in der Öffentlichkeit im
22:28Umgang mit sexueller Gewalt?
22:31Dass entsprechend Experten einbezogen werden, weil, wie gesagt, wir haben alle eine Vorstellung
22:37von Sexualität und sexualisierter Gewalt. Und das Thema Sex und Sexualität ist etwas, das
22:44so breit ist, wie es Menschen gibt. Und ich denke, da muss man schon sehr tief in der
22:49Thematik drinnen sein und muss sich gut beraten lassen, damit man hier möglichst wenig emotional
22:55oder möglichst ohne Emotionen gute Entscheidungen treffen kann. Ich sehe das immer wieder bei
23:00Kolleginnen und Kollegen auch, die sagen, wenn ich einen pädophilen Patienten beispielsweise
23:03habe, die sagen, mit dem könnte ich nicht arbeiten, da könnte ich nicht reden, weil ich
23:06muss an meine Kinder denken. Das sind aber genauso Menschen, die sozusagen eine sexuelle
23:12Orientierung haben, eine sexuelle Präferenz, in dem Fall eine Präferenzstörung haben,
23:16mit der sie umgehen lernen müssen. Weil, wenn Sie sich jetzt vorstellen, wenn jemand
23:20homosexuell oder heterosexuell ist und ich sage, sie dürfen am nächsten Tag nur mehr genau
23:25das andere ausagieren, also wenn jemand heterosexuell ist, sage ich, sie dürfen jetzt nur mehr
23:29homosexuelle Kontakte haben, das wird nicht funktionieren. Das heißt, jemand, der pädophil ist,
23:33wird auch nicht ab dem nächsten Tag, und da können wir ihm nichts anbieten therapeutisch,
23:38dass er sozusagen diese Grundorientierung oder Präferenz ablegen wird. Und dieses Verständnis
23:42dafür, das ist wichtig, um möglichst objektiv an diese Thematik auch heranzutreten und zu
23:49sagen, okay, wir müssen schauen, dass wir das Problem lösen und nicht jemand schon
23:53verurteilen, wenn er tatsächlich sozusagen solche Delikte begangen hat, sondern wir müssen
23:57uns dafür interessieren, warum ist es passiert und wie können wir verhindern, dass es wieder
24:00passiert. Ja, am Ende, Herr Mag. Marx, vielen lieben Dank für Ihre Einblicke. Ich hätte
24:06noch eine kleine, vielleicht persönliche Frage, wenn sie mir erlaubt ist. Für viele
24:09sind diese Themen, die Sie jetzt geschildert haben, Science Fiction. Für Sie sind es alltägliche
24:14Realitäten, wenn man so will. Meine Frage, wie schaffen Sie da den Ausgleich zwischen dieser
24:19Kriminalpsychologie und der sexuellen Gewalt? Ja, also man muss da ja unglaublich viel Kraft
24:25auch persönlich mitnehmen. Wie schaffen Sie einen Ausgleich? Also es muss ein gewisses
24:30Grundinteresse da sein, um sich mit solchen Themen zu beschäftigen. Das ist einmal die
24:34Voraussetzung. Ich habe immer schon, ich sage einmal, mich gern in gewissen Extrembereichen
24:38bewegt. Das ist vielleicht auch eine Persönlichkeitseigenschaft, die da zu tragen kommt. Also sei es jetzt im
24:43Maßregelvollzug mit den Sexualstraftätern, mit den sexuell-statistischen Tätern, die andere
24:48gequält oder auch umgebracht haben. Auf der anderen Seite in der Notfallpsychologie, wo man es mit
24:53Menschen zu tun hat, die unglaubliche Dinge erlebt haben, wo jemand von einem auf den
24:56anderen Moment auf ganz, ganz tragische Art und Weise ums Leben gekommen ist. Also das
25:01ist ein gewisses Grundinteresse da sein. Psychologie ist alles im Leben und mit Menschen hat man
25:05immer zu tun. Aber ich sage einmal, bei mir war irgendwie so, mein Mindset, möglichst
25:12unterschiedliche Dinge zu tun, sodass das eine das Ausgleich für den anderen ist. Also das
25:16heißt, nicht nur im Maßregelvollzug zu sein, ich kann mich erinnern, wie in Deutschland
25:22tätig war, bin ich jedes Wochenende quasi nach Hause gefahren, um dann am Wochenende
25:26in der Disco als DJ tätig zu sein. Und das war quasi für mich immer ein guter Ausgleich,
25:31um, ich sage einmal, das eine interessiert zu machen und das andere dann unter der Woche
25:35auch immer. Ja, spannende Schilderungen. Patricia, was bleibt uns am Ende noch übrig?
25:41Ja, das war der erste Talk im Hörsaal mit Possad und Stanijek. Wahnsinn, super. Danke,
25:47Herr Mag. Malz, fürs Kommen. Danke für die Einladung.
25:52Danke für die Einladung.