• vorgestern
Die Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP sind gescheitert. Wieso Herbert Kickl nun wohl doch nicht Österreichs nächster Kanzler wird und wie es jetzt weitergeht, erklärt Michael Völker. Er leitet das Chronik- und Innenpolitikressort des STANDARD.

Mehr zum Thema und die neuesten Updates auf https://www.derstandard.at

Kategorie

🗞
News
Transkript
00:00Die Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP sind gescheitert.
00:04Wieso Herbert Kickl nun wohl doch nicht Österreichs nächster Kanzler wird und wie es weitergeht,
00:09das bespreche ich jetzt mit Michael Völker, er leitt das Innenpolitik und Krone-Crisor
00:13beim Standard.
00:14Hallo Michael.
00:15Servus.
00:16Michael, das waren turbulente Tage, wie ist es denn zu diesem Scheitern von Blau-Schwarz
00:21gekommen?
00:22Was hat sich da hinter den Kulissen und auch in aller Öffentlichkeit zugetragen?
00:24Naja, das hat sich schon ein wenig abgezeichnet.
00:27Wir haben eigentlich gestern schon damit gerechnet, dass das auskommt.
00:31Das hat sich dann irgendwie noch zum heutigen Tag hinübergerettet.
00:34Wir haben eigentlich nur noch gewartet, wann das Endgültige auskommt.
00:37Ich glaube, letztendlich ging es auch darum, wer steht zuerst auf, wer verkündet das aus.
00:44Das war ein bisschen ein Poker.
00:45Letztendlich ist Herbert Kickl dann zum Bundespräsidenten gegangen und hat den Regierungsbildungsauftrag
00:52zurückgelegt.
00:53Er hat das in einer schmalen Aussendung kommuniziert, er ist also nicht mehr vor die Presse getreten.
00:58Das überlässt er jetzt anderen.
01:01Für ihn ist das, glaube ich, ein bitterer Ausgang.
01:04Er wird nicht Bundeskanzler, er wird nicht der erste freiheitliche Bundeskanzler der Republik.
01:10Die FPÖ hat das, glaube ich, sehr intensiv versucht, das umzusetzen, aber sie hat sich,
01:16glaube ich, auf einigen Ebenen verspekuliert.
01:19Was war denn ausschlaggebend?
01:21Waren das die Themen?
01:22War das die Frage, welche Ministerien wer bekommt?
01:25Ja, das war ein Mix aus mehreren Sachen, also ein Mix aus Themen, ein Mix aus dieser Ressortverteilung.
01:32Aber ich glaube, dass sehr stark auch die Atmosphäre da hineingespielt hat.
01:36Die FPÖ ist doch mit einem sehr großen Selbstbewusstsein an die ÖVP herangetreten.
01:45Das wurde ihr als Überheblichkeit ausgelegt, ich glaube auch zurecht, die ÖVP hat immer
01:49von einem Machtrausch oder jetzt in den letzten Tagen von einem Machtrausch von Kickl gesprochen.
01:54Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen.
01:57Wenn man das dann herunterbricht auf die Ressortverteilung, muss man sagen, Machtrausch, ja, das stimmt
02:04dann so nicht ganz.
02:06Also der letzte Vorschlag, den die FPÖ der ÖVP unterbreitet hat, da wäre die ÖVP doch
02:12mit einer erkläglichen Anzahl an Ressorts nicht so schlecht ausgestiegen.
02:17Allerdings hat sich das dann zugespitzt auf den Streit um das Innenministerium.
02:23Die ÖVP wollte unbedingt das Innenministerium, die FPÖ hat auch darauf beharrt.
02:28Das Finanzministerium, da hätte man sich vielleicht noch einigen können, aber daran
02:33ist es letztendlich gescheitert und im Hintergrund spielen da eine ganze Anzahl von Themen noch mit.
02:38Nämlich wie tritt man auf EU-Ebene auf, wie hält man es mit Menschenrechten, mit Urteilen
02:44von Höchstgerichten, da kann man die beiden Parteien auch nicht zueinander, aber das war
02:49dann eher schon der Nachspann.
02:52Du hast schon angesprochen, dass Herbert Kickl sehr optimistisch in diese Verhandlungen reingegangen ist.
02:58Hat er sich verpokert?
02:59Ja, er war, glaube ich, zu selbstbewusst und er wollte die ÖVP zu klein halten.
03:06Also er hat nicht auf Augenhöhe kommuniziert, sondern sehr herablassend.
03:12Er hat der ÖVP immer wieder auch sehr offen gesagt, also bitte akzeptiert doch, wer Wahlsieger ist.
03:18Nämlich wir sind der Wahlsieger, ihr müsst euch unterordnen.
03:20Das hat der ÖVP gar nicht geschmeckt.
03:23Mit dem haben sie sich nicht abgefunden, aber es gab dazwischen auch ein paar Punkte, wo
03:30die ÖVP nicht drüber konnte, einfach auch thematisch nicht.
03:34Das hätte sie in der Öffentlichkeit nicht vertreten können, obwohl sie sich in Asylfragen
03:39dann letztendlich doch einig waren, in ein paar Punkten, wo es mich dann auch gewundert hat,
03:43nämlich dass die ÖVP auch so gestimmt hat, dass man einfach keine Asylanträge mehr annimmt.
03:49Aber es gab dann auch ein paar Punkte, wo die ÖVP nicht mehr mit konnte.
03:55Interessant ist ja, dass die ÖVP vor den Wahlen gesagt hat, mit einer Kickl-FBÖ werden wir nicht verhandeln.
04:01Dann haben sie die Koalitionsverhandlungen mit SPÖ und NEOS eingestellt, dann doch mit der FPÖ verhandelt.
04:08Wie geht denn die ÖVP aus dem Ganzen heraus?
04:10Ist sie noch glaubwürdig?
04:11Naja, die Glaubwürdigkeit hat sie, glaube ich, schon zu einem sehr großen Teil verspielt,
04:17als sie die Koalitionsverhandlungen mit Kickl und der FPÖ aufgenommen hat, wo sie vorher
04:25ganz dezidiert erklärt haben und das auch sehr imprünstig immer wieder begründet haben,
04:30warum Kickl für sie gar nicht in Frage kommt, dann war es plötzlich die mehr oder weniger
04:36logische Option.
04:37Da haben sie sehr viel Glaubwürdigkeit verspielt.
04:40Auch die Zugeständnisse, die sie da jetzt gemacht haben, sprechen nicht in allen Punkten
04:45für die ÖVP.
04:46Was man ja jetzt zugute halten kann und was wahrscheinlich viele Leute auch tun werden,
04:51ist, dass sie eben doch ausgestiegen sind, dass sie die Notbremse abgezogen haben, reichlich spät.
04:56Das, was sie gestern auf den Tisch gelegt haben, die roten Linien, die man nicht überschreiten darf,
05:02das war ein bisschen Hanebüchen schon, möchte ich sagen, weil da standen dann eben so Sachen
05:07drin, wie, dass man eben Gerichtsurteile akzeptieren muss und so weiter.
05:11Ja, natürlich muss man das, ja, aber immerhin, sie sind jetzt ausgestiegen, sie haben sich
05:16nicht alles gefallen gelassen, dennoch dieses ramponierte Image wieder zurechtzurücken,
05:24das wird, glaube ich, eine sehr schwierige Aufgabe.
05:26Alle fragen sich jetzt natürlich, wie geht es weiter, welche Optionen gibt es denn überhaupt
05:31noch, dass Österreich eine neue Regierung bekommt?
05:33Naja, das liegt jetzt am Bundespräsidenten.
05:36Van der Bellen muss den nächsten Schritt setzen.
05:38So viele Optionen gibt es nicht.
05:41Also eine logische Möglichkeit wäre, in Neuwahlen zu gehen.
05:44Wie kommt man dorthin?
05:45Kommt man mit der jetzt agierenden Übergangsregierung dorthin oder setzt man dazwischen noch so
05:52eine Art Expertenregierung ein, die quasi als Überbrückung zu Neuwahlen dient?
05:58Die andere Möglichkeit ist, dass man überhaupt über eine Expertenregierung, die für einen
06:03längeren Zeitraum vielleicht tätig wird, nachdenkt.
06:08Das ist, ich weiß es nicht, nicht sehr wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
06:12Ich glaube, der Bundespräsident hat bereits seine Fühler ausgestreckt und die Bereitschaft
06:19bei einigen Experten erkundet, ob die für so ein Experiment zur Verfügung stünden.
06:24Die Frage ist, was kann so eine Regierung bewirken?
06:26Kann die wirklich Beschlüsse machen?
06:29Die ist ja dann auch angewiesen auf eine Mehrheit im Parlament und auf das Wohlwollen der Parteien
06:35im Parlament.
06:36Also da ist die überwiegende Meinung, die könnte eher nur verwalten und nicht agieren
06:42und Österreich bräuchte aber jetzt eine tatkräftige Regierung, die die anstehenden Probleme in
06:48Angriff nimmt.
06:49Und die dritte Möglichkeit ist, dass der Bundespräsident doch noch einmal einen Regierungsbildungsauftrag
06:55vergibt an, ich weiß nicht an wen, also eigentlich wäre jetzt Babler dran, also die ÖVP hatte
07:02ihn schon, hat nichts draus gemacht, die FPÖ hatte ihn schon, das wurde nichts, die drittstärkste
07:08Partei wäre jetzt die SPÖ, halte ich jetzt auch nicht für sehr glaubwürdig, also möglicherweise
07:13bekommt noch einmal die ÖVP den Regierungsbildungsauftrag, wenn die sagt, sie würden es gerne noch einmal
07:19in einer Runde versuchen mit allen anderen Parteien außer der FPÖ, alle anderen Parteien
07:26haben diese Bereitschaft ja sehr deutlich signalisiert, es kamen ja von der SPÖ sehr
07:31deutliche Signale, dass sie bereit wären noch einmal zu verhandeln, dass sie auch bereiter
07:36wären als zuvor Kompromisse einzugehen, diese Signale gibt es auch von den Neos und von
07:42den Grünen und eine vierte Möglichkeit wäre natürlich auch eine Minderheitsregierung,
07:48zum Beispiel die, ich sage jetzt einmal die ÖVP gemeinsam mit den Neos, gestützt von
07:53den von der SPÖ und den Grünen, aber das liegt jetzt am Bundespräsidenten, diese Entscheidung
07:59zu treffen, ich nehme an, er wird sich spätestens morgen an die Öffentlichkeit wenden und einmal
08:06eine Andeutung zumindest geben, wie das weitergehen kann.
08:09Sollte es zu Neuwahlen kommen, sind die Blauen nach wie vor die Favoriten?
08:13Naja, bei ihrer Wählerschaft, glaube ich, haben sie jetzt keinen großen Schaden genommen,
08:21also ich glaube der erste Platz ist ihnen unbenommen, die anderen Parteien haben sich
08:25in diesen Verhandlungen jetzt auch nicht so profiliert, dass da ein totaler Meinungsumschwung
08:30zu erwarten wäre, also ich glaube an der Reihenordnung würden Neuwahlen nichts ändern,
08:35die FPÖ würde wohl wieder das stärkste Partei daraus hervorgehen, vielleicht sogar noch
08:40stärker als bei der letzten Wahl, aber dass er jetzt so ganz gewaltig zulegen würde,
08:45das glaube ich nicht, die Frage ist eher, wie es der ÖVP geht, ob die dann doch auf
08:51den dritten Platz hinter die SPÖ zurückfallen würde, die aktuellen Umfragen, die es gibt,
08:57belegen das eigentlich, ja und wie es dann weitergeht, also dann hat man ja nach wie
09:02vor mit Kickl und der FPÖ zu tun und mit allen anderen Parteien, die nicht mit ihm
09:07können oder wollen, also weiß ich nicht, ob Neuwahlen wirklich der Ausweg sind,
09:12ja ich glaube wir müssen abwarten, was der Bundespräsident sagt.
09:15Es bleibt spannend, vielen Dank für diese Einschätzung Michael Völker.
09:18Sehr gerne, danke.
09:20Danke auch Ihnen für die Aufmerksamkeit, weitere Informationen, Videos und Podcasts
09:25zur aktuellen Regierungskrise in Österreich finden Sie auf derstandard.at.

Empfohlen