Ohne Strom, Wasser und Handyempfang - ältere, oft hilflose Zivilisten leben in der von der Ukraine kontrollierten Region Kursk. Die ukrainische Armee will dem Feind in Russland offenbar zeigen, dass er verwundbar ist. DW-Reporter Nick Connolly durfte eine Einheit unter Aufsicht begleiten.
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NewsTranskript
00:00Leere Straßen vor den schmalen Fenstern des gepanzerten ukrainischen Fahrzeugs.
00:07Entfernt ertönt Granatfeuer. Es könnte irgendwo an der Front sein, doch wir sind in Russland, in einem ukrainisch kontrollierten Gebiet.
00:15Wir sind auf einer Embedded Mission, das heißt wir dürfen uns nur unter Aufsicht der ukrainischen Armee bewegen in einem ihrer Fahrzeuge.
00:23Aktuell ist das wohl die einzige Möglichkeit von hier zu berichten, auch wenn wir so nur einen Teil der Geschichte zu sehen bekommen.
00:31Wie viele russische Zivilisten hier beim ukrainischen Einmarsch zurückgelassen wurden, ist unklar.
00:38Anwohner erzählen uns, dass die zuständige Verwaltung ins Auto gesprungen und davon gefahren sei.
00:43Wer geblieben ist, hat kein fließendes Wasser, keinen Strom und vor allem keinen Handyempfang.
00:48Seit zwei Wochen sind die Menschen abgeschnitten vom Rest Russlands.
00:53Im Vergleich zu vielen Orten in der Ostukraine wirkt es hier ruhig, doch die ukrainischen Soldaten sind in Habachtstellung.
01:04Wir wollten gerade mit Anwohnern hier in Sucha sprechen, als plötzlich alle ukrainischen Soldaten laut riefen.
01:11Sie hatten eine russische Salatrone über uns am Himmel entdeckt. Die hat normalerweise ukrainische Artillerie oder ähnliches im Visier.
01:18Oleksej Dmitraschewski ist Sprecher des neuen ukrainischen Militärkommandos in Kursk.
01:25Er hat nie damit gerechnet, hier eingesetzt zu werden. Im Vergleich zu Russland, sagt er, wolle die Ukraine keine Gebiete annektieren.
01:33Wir wollen dieses Stück Land nicht behalten, wir brauchen es nicht.
01:39Doch wir müssen das tun, um unserem Feind zu zeigen, dass auch er verwundbar ist.
01:49Die ukrainische Führung will, dass genau solche Botschaften um die Welt gehen.
01:53Sie hofft, dass russische Bürger dann den Druck auf Wladimir Putin erhöhen und er seine Truppen von der ostukrainischen Front hierhin abzieht.
02:00Zur Verteidigung des eigenen Staatsgebiets in Kursk.
02:04Noch scheint das nicht der Fall zu sein, doch viele ukrainische Soldaten hoffen, dass es passieren könnte.
02:09Je länger das hier andauert und je mehr sie ins russische Gebiet vorrücken.
02:14Wir treffen Anwohner, die sich in einem Keller verstecken.
02:19Die Straßen sind leer, in der Ferne hört man Generatoren.
02:23Strom gibt es immer noch nicht, nur ab und zu kommt ein ukrainisches Militärauto vorbei.
02:28Zurückgeblieben sind vor allem Ältere und deren Freunde und Verwandte, um sich zu kümmern.
02:33Sie wollen in der Nähe des Kellers bleiben, wo sie aus Sicherheitsgründen schlafen.
02:38Mir wurde keine Evakuierung angeboten.
02:41Die Leute sind einfach abgehauen in ihren Autos.
02:46Ich lebe allein, meine Tochter weit weg.
02:51Ich hatte keine Gelegenheit rauszukommen.
02:55Ich habe mich um eine ältere Freundin gekümmert, die krank war.
02:59Ich konnte sie nicht einfach im Stich lassen.
03:04Gestern ist sie gestorben, heute haben wir sie beerdigt.
03:09Die anhaltenden Artillerie-Gefechte zwischen ukrainischen Streitkräften hier in Sucha und russischen Einheiten in der Nähe hinterlassen Spuren.
03:18Mein Haus wurde bombardiert, jetzt ist nur noch ein Krater übrig.
03:24Als das gestern passierte, war ich hier.
03:28Ja, das Haus ist komplett zerstört.
03:31Über sogenannte humanitäre Korridore sollen Menschen wie sie sicher in russisch kontrollierte Gebiete gelangen.
03:37Doch über deren Einrichtung wird noch verhandelt.
03:41Ich kam an dem Tag zum Arbeiten nach Sucha.
03:45Wir haben gar nicht verstanden, was passiert. Seitdem bin ich hier.
03:49Meine Eltern sind im Dorf geblieben, sie sind 84 und 83.
03:53Ich weiß nicht, was ihnen widerfahren ist und umgekehrt.
03:57Dann passiert etwas Unerwartetes.
04:00Auf seinem Laptop zeigt der ukrainische Armeesprecher den russischen Zivilisten Aufnahmen aus Butcha,
04:06also jener Kleinstadt bei Kiew, in der russische Truppen Kriegsverbrechen begangen haben sollen.
04:12Die Einheimischen wirken erschöpft, kaum fähig, die Bilder aufzunehmen.
04:19Die ukrainischen Soldaten scheinen zu hoffen, dass sie den einfachen russischen Bürgern nur zeigen müssten,
04:25was in deren Namen in der Ukraine passiert.
04:28Dann, so die Hoffnung, müssten sie doch hinterfragen, was Wladimir Putin als Spezialoperation in der Ukraine bezeichnet.
04:35Mehr können wir nicht mitverfolgen. Es heißt, es sei Zeit für uns zu gehen.