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00:00:00Untertitel der Amara.org-Community
00:01:01Meine Damen und Herren, darf ich um Ruhe bitten?
00:01:07Ich eröffne die heutige Sitzung des Ethikrates.
00:01:11Ganz herzlichen Dank, dass Sie gekommen sind.
00:01:14Der Rat ist dieses Mal auf eigenen Entschluss tätig geworden.
00:01:18Es geht um folgenden Fall.
00:01:21Richard Gärtner, den ich hier begrüße,
00:01:24hat beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
00:01:27eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital beantragt.
00:01:31Das ist ein Medikament, das in anderen Ländern
00:01:34von Sterbehelferorganisationen eingesetzt wird.
00:01:37Herr Gärtner erklärte, er wolle sich das Leben nehmen.
00:01:40Das Außergewöhnliche an der Situation ist,
00:01:43dass Herr Gärtner nicht unheilbar krank ist oder an Schmerzen leidet,
00:01:47sondern völlig gesund ist.
00:01:50Trotzdem will er sich das Leben nehmen.
00:01:53Ich bitte Sie, von Zwischenrufen abzusehen.
00:01:55Wir werden hier alle Argumente hören.
00:01:58Nun, das Bundesinstitut lehnte die Herausgabe des Medikaments ab.
00:02:03Daraufhin wandte sich Herr Gärtner an seine Hausärztin
00:02:06und bat sie um Beihilfe bei seinem Selbstmord.
00:02:09Soweit der Sachverhalt.
00:02:12Soll ein Arzt einem Menschen beim Suizid helfen?
00:02:15Wäre das ethisch richtig?
00:02:18Darüber werden wir heute diskutieren.
00:02:21Wir haben dazu Herrn Gärtner eingeladen,
00:02:23Frau Prof. Litten von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät,
00:02:26Herrn Prof. Sperling von der Bundesärztekammer
00:02:29und Herrn Bischof Thiel.
00:02:32Und schließlich begrüße ich noch Frau Dr. Brand,
00:02:35die Hausärztin von Herrn Gärtner.
00:02:38Meine Damen und Herren, auch Ihre Meinung
00:02:41soll bei dieser Diskussion berücksichtigt werden.
00:02:44Sie sind als Mitglieder des Ethikrates unabhängig.
00:02:47Ihr Rat soll unsere Regierung bei der Meinungsbildung
00:02:49in einer wichtigen ethischen Frage helfen.
00:02:52Soll ein Mensch wie Herr Gärtner einen Anspruch darauf haben,
00:02:55dass ihm Ärzte dabei helfen, sein Leben zu beenden?
00:03:02Dann beginnen wir jetzt.
00:03:05Herr Gärtner,
00:03:08ich danke Ihnen, dass Sie Ihren Fall öffentlich machen
00:03:11und uns hier Auskunft geben.
00:03:14Können Sie uns bitte schildern, worum es Ihnen eigentlich geht?
00:03:16Ich will sterben.
00:03:19Warum?
00:03:22Sie sind doch nicht krank, oder?
00:03:25Nein, nein.
00:03:28Bis auf so ein paar Alterszipperlein
00:03:31bin ich eigentlich ziemlich gesund.
00:03:34Warum wollen Sie dann sterben?
00:03:38Ich will nicht mehr.
00:03:41Mögen Sie uns das erklären?
00:03:43Ich bin 78 Jahre alt.
00:03:4642 Jahre war ich verheiratet.
00:03:49Meine Frau, Elisabeth, ist vor drei Jahren gestorben.
00:03:52Woran ist sie gestorben?
00:03:55Hirntumor.
00:03:58So groß wie ein Tischtennisball.
00:04:01Was ist das?
00:04:04Das ist ein Hirntumor.
00:04:07Das ist ein Hirntumor.
00:04:10Das ist ein Hirntumor.
00:04:14In einer Klinik.
00:04:18Was haben Sie beruflich gemacht?
00:04:22Ich war Architekt.
00:04:26Wann haben Sie damit aufgehört?
00:04:30Nach Elisabeths Tod.
00:04:33Haben Sie Kinder?
00:04:36Ja, zwei Söhne. Dazu drei Enkelkinder.
00:04:39Weiß Ihre Familie von Ihrem Sterbewunsch?
00:04:41Ja, natürlich.
00:04:44Die Kinder.
00:04:47Seit Elisabeths Tod haben wir das immer wieder diskutiert.
00:04:50Alle Argumente rauf und runter.
00:04:53Und Sie haben es ...
00:04:56na ja ...
00:04:59akzeptiert.
00:05:02Die Enkel sind auch zu klein.
00:05:05Was hat sich mit dem Tod Ihrer Frau für Sie geändert?
00:05:08Alles.
00:05:11Elisabeth und ich ...
00:05:16Wir waren in einer Reihe von Wohltätigkeitsorganisationen
00:05:20und kulturellen Vereinigungen.
00:05:23Wir sind ins Theater gegangen.
00:05:26In Konzerte, zu Vernissagen, zu Einladungen.
00:05:29Wir sind viel gereist.
00:05:32Sie wollte die ganze Welt sehen.
00:05:36Das alles habe ich ihr aufgegeben.
00:05:39Allein.
00:05:42Das kann ich nicht.
00:05:45Sie fehlt mir.
00:05:50Sie fehlt mir.
00:05:54Sie fehlt mir, wenn ich aufwache.
00:05:57Sie fehlt mir, wenn ich einschlafe.
00:06:00Sie fehlt mir bei allem, was ich tue, bei allem, was ich sehe.
00:06:09Sie ist weg.
00:06:12Und ich bin noch da.
00:06:16Das ist nicht richtig.
00:06:19Nein, das ist nicht richtig.
00:06:22Nicht nach 42 Jahren.
00:06:25Halten Sie es für ausgeschlossen,
00:06:28noch einmal einen Sinn in Ihrem Leben zu sehen?
00:06:31Vielleicht durch Ihre Enkel?
00:06:34Meine Enkel sind wunderbar, aber ...
00:06:36Ich kann sie nicht ...
00:06:41Das klingt mir nicht ...
00:06:45Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen,
00:06:48aber seit Elisabeths Tod bin ich nur noch die Hälfte.
00:06:52Nein, das stimmt nicht.
00:06:55Ich bin mir selber ...
00:06:58ganz hoch abhandengekommen.
00:07:02Ich will einfach nur ...
00:07:04in Ruhe sterben.
00:07:10Ich verstehe.
00:07:13Möchten Sie noch etwas fragen, Frau Dr. Keller?
00:07:16Danke.
00:07:19Herr Biegler, vielleicht?
00:07:22Richard, warum willst du nicht ganz normal sterben,
00:07:25wie jeder andere auch?
00:07:28Das Leben bedeutet mir nichts mehr.
00:07:31Und ich will nicht irgendwann in ein Krankenhaus kommen
00:07:34und an Schläuchen hängen, aus dem Mund zabbern.
00:07:37Ich will nicht dement werden.
00:07:40Ich will als ordentlicher Mensch sterben, so wie ich gelebt habe.
00:07:43Erzähl uns von Elisabeths Sterben.
00:07:48Sie ist in einem Krankenhaus gestorben.
00:07:51Na ja.
00:07:54Hat sie gelitten?
00:07:58Anderthalb Jahre lang.
00:08:01Schmerzen, Ausfälle, Stürzen mit Brüchen,
00:08:04Hilfeflosigkeit,
00:08:07Verwirrung, all das, wovor du dich jetzt fürchtest.
00:08:10Sie war sehr arm dran.
00:08:13Und ...
00:08:16Verzeih bitte, aber ...
00:08:19am Ende hat sie die Ärzte gebeten, sie zu erlösen.
00:08:22So hat sie es genannt, ja.
00:08:25Sie war gläubig.
00:08:28Hat sie ein Mittel bekommen?
00:08:30Nein.
00:08:36Dann hat sie mich gebeten, ihr etwas zu besorgen,
00:08:39um ihr Leiden zu beenden.
00:08:43Ich konnte das nicht.
00:08:49Ich wusste ja nicht mal, wie.
00:08:53Dann haben die Ärzte ihr irgendwann sehr viel Morphium gegeben.
00:08:55Ist sie friedlich gestorben?
00:09:00Ich weiß es nicht.
00:09:04Ich weiß es wirklich nicht.
00:09:07Das quält mich noch einmal.
00:09:10Ich war gerade mal eine halbe Stunde rausgegangen,
00:09:13und als ich zurückkam, war sie tot.
00:09:16Bitte frag mich jetzt nicht weiter.
00:09:19Aber eine Sache musst du uns noch erzählen.
00:09:21Warum bist du hier?
00:09:30Elisabeth war immer sehr engagiert.
00:09:33Sie war ein sehr politischer Mensch.
00:09:37Und kurz bevor sie starb,
00:09:40sagte sie zu mir im Krankenhaus,
00:09:43mach es richtig.
00:09:46Dann ...
00:09:48mach es richtig.
00:09:51Dein Suizid soll über dich hinausweisen.
00:09:54Ich glaube, Elisabeth hätte gewollt,
00:09:57dass ich dieses Problem,
00:10:00das man sich so lange hat leiden lassen,
00:10:03dieses Problem, das jetzt auch mich quält,
00:10:08dass ich das öffentlich mache.
00:10:12Und darum bin ich hier.
00:10:15Ich will,
00:10:18dass Sie verstehen, dass es in Ordnung ist,
00:10:21dass ich sterben will.
00:10:25Ich will, dass man Menschen wie mir hilft.
00:10:31Ich will sterben.
00:10:34Und das ist nicht amoralisch.
00:10:38Es ist auch nicht egoistisch.
00:10:41Und es ist nicht krank.
00:10:48Ich habe keine Fragen mehr.
00:10:51Vielen Dank, Herr Gärtner.
00:10:54Ich weiß, wie schwer das ist.
00:10:59Frau Dr. Brandt, bitte.
00:11:15Frau Dr. Brandt,
00:11:18das trifft zu.
00:11:21Und Herr Gärtner hat Sie gebeten, ihm bei seinem Suizid zu helfen.
00:11:24Vor zwei Jahren das erste Mal, ein Jahr nach dem Tod seiner Frau.
00:11:27Sie haben es vorhin richtig dargestellt,
00:11:30er wollte das Medikament vom Bundesinstitut für Arzneimittel,
00:11:33ist damit gescheitert und kam dann zu mir.
00:11:36Wir haben das seitdem immer wieder diskutiert,
00:11:39aber Herr Gärtner ist nicht davon abzubringen.
00:11:42Wie stehen Sie zu dem Sterbewunsch von Herrn Gärtner?
00:11:45Ich möchte keine Beihilfe zum Suizid leisten.
00:11:48Aber ganz unabhängig davon, zweifle ich auch,
00:11:51ob es für andere Ärzte ethisch, moralisch richtig wäre,
00:11:54ihren Patienten dabei zu helfen.
00:11:57Entschuldigung, aber es ist doch eine Depression, von der wir hier sprechen.
00:12:00Frau Dr. Brandt, ist Herr Gärtner psychisch erkrankt?
00:12:03Leidet er an Depressionen?
00:12:06Nein, er ist einfach traurig.
00:12:09Ich habe hier zwei Kurzgutachten, die bestätigen,
00:12:12was Frau Brandt gerade gesagt hat.
00:12:15Eines von einem Psychologen und eines von einem Psychiater.
00:12:18Die Gutachten belegen,
00:12:21dass Herr Gärtner weder an einer psychischen Erkrankung leidet,
00:12:24noch an einer Störung, die ihn daran hindern würde,
00:12:27seine persönlichen Wertvorstellungen durchzusetzen.
00:12:30Frau Dr. Brandt, Sie kennen die Gutachten.
00:12:33Besteht irgendein Zweifel an der Befähigung der Gutachter?
00:12:36Überhaupt nicht.
00:12:39Haben Sie als Hausärztin irgendwelche Erkenntnisse,
00:12:42dass der Wunsch von Herrn Gärtner von Dritten beeinflusst sein könnte?
00:12:45So etwas würde seinem Charakter nicht entsprechen.
00:12:48Ich bin nicht in der Lage, für diesen Wunsch auszureden.
00:12:52Eine letzte Frage.
00:12:55Haben Sie mit Herrn Gärtner über andere Suizidmöglichkeiten gesprochen?
00:12:59Ich habe ihm dringend davon abgeraten.
00:13:02Warum?
00:13:05Ich habe in einer Uniklinik mit einer großen Notaufnahme gearbeitet.
00:13:08Dort können Sie jeden Tag vier geschlagene Suizidversuche sehen.
00:13:11Wie sehen die aus?
00:13:14Nehmen wir zum Beispiel das Erhängen.
00:13:16Nach der Statistik der Polizei versuchen sich über 50 Prozent
00:13:19des Selbstmordes dadurch erhängend zu töten.
00:13:22Das misslingt oft.
00:13:25Das Seil reißt nach ein paar Minuten, Türklinken balken
00:13:28oder andere Aufhängungen geben nach oder brechen.
00:13:31Immer wieder überleben Menschen und tragen dann schwerste
00:13:34und irreparable körperliche und geistige Schäden davon.
00:13:37Auch andere Suizidversuche scheitern oft.
00:13:40Zum Beispiel?
00:13:43Menschen springen aus Hochhäusern und bleiben querschnittsgelähmt zurück.
00:13:46Oder sie versuchen, sich mit dem Auto zu töten
00:13:49und verletzen und töten dann andere.
00:13:52Wir hatten Fälle, in denen sich Menschen mit einer Waffe
00:13:55den Unterkiefer... Danke, ich habe auch keine Fragen mehr.
00:13:58Vielen Dank, Frau Dr. Brand.
00:14:01Dann hören wir jetzt die Sachverständigen.
00:14:04Frau Professorin Litten, bitte.
00:14:12Wie Sie wissen, meine Damen und Herren,
00:14:14ist es unsere Aufgabe des Ethikrates,
00:14:17unsere Fragen in der Öffentlichkeit vorzustellen
00:14:20und so die gesellschaftliche Diskussion zu fördern.
00:14:23Frau Dr. Keller, die ein langjähriges Mitglied
00:14:26dieses Rats ist, hat sich bereit erklärt,
00:14:29die Befragung der Sachverständigen zu übernehmen.
00:14:32Frau Dr. Keller, bitte. Danke schön.
00:14:35Frau Litten, Sie sind Professorin für Verfassungsrecht
00:14:38an der Freien Universität Berlin.
00:14:41In der Vergangenheit haben Sie zahlreiche Rechtsgutachten
00:14:44als Staatsrechtslehrer. Und nicht zuletzt sind Sie
00:14:47Verfassungsrichterin am Landesverfassungsgericht Brandenburg.
00:14:50Das ist richtig, ja.
00:14:53Frau Professorin Litten, können Sie uns kurz die Rechtslage
00:14:56der Sterbehilfe in Deutschland schildern?
00:14:59Der Suizid an sich ist in unserem Recht keine Straftat,
00:15:02denn ein Tötungsdelikt setzt immer den Tod eines anderen Menschen voraus.
00:15:05Das heißt also, bei einem Suizid oder Suizidversuch
00:15:08stellt sich nur die Frage, ob und wie sich ein Helfer
00:15:11strafbar machen kann.
00:15:14Ja, ganz genau.
00:15:17Wir unterscheiden heute vier verschiedene Formen der Sterbehilfe.
00:15:21Die aktive Sterbehilfe, die indirekte Sterbehilfe,
00:15:24die Beihilfe zum Suizid und früher gab es auch noch
00:15:27die passive Sterbehilfe, die nennen wir heute den Behandlungsabbruch.
00:15:30Erklären Sie das bitte.
00:15:33Aktiv bedeutet, dass der Tod der Sterbewilligen aktiv herbeigeführt wird.
00:15:36Der Arzt verabreicht dem Patienten die Todesspritze.
00:15:39Das ist verboten, das ist die sogenannte Tötung auf Verlangen.
00:15:41Bei der passiven Sterbehilfe oder wie wir heute sagen
00:15:44beim Behandlungsabbruch verzichtet der Arzt wissentlich
00:15:47auf lebensverlängernde therapeutische Maßnahmen
00:15:50oder er bricht eine bereits laufende therapeutische Maßnahme ab.
00:15:53Voraussetzung dafür ist natürlich, dass der Patient dies wünscht
00:15:56und dies in Form einer Patientenverfügung
00:15:59zum Beispiel schriftlich niedergelegt hat.
00:16:02Bei der indirekten Sterbehilfe nehmen wir die lebensverkürzende Wirkung
00:16:05eines Medikamentes in Kauf.
00:16:08Stellen Sie sich vor, dass die Schmerzen eines Todkranken
00:16:11mit Morphium gelindert werden.
00:16:14Nun hat Morphium ab einer bestimmten Dosis
00:16:17auch eine Verkürzung des Lebens zur Folge.
00:16:20Und das ist erlaubt, wenn der Patient das wünscht.
00:16:23Kompliziert wird es also erst bei der Hilfe zur Selbsttötung.
00:16:26Naja, eigentlich nicht, denn unser Strafgesetzbuch,
00:16:29das vor mehr als 145 Jahren in Kraft getreten ist,
00:16:32also noch zu Bismarcks Zeiten 1872,
00:16:35verbot eine solche Hilfe eigentlich nicht.
00:16:38Nun hat aber der Bundesgerichtshof vor 40 Jahren entschieden,
00:16:41den Treffenden aber verpflichtet ist,
00:16:44den Sterbewilligen sofort zu retten.
00:16:47Das verstehe ich nicht.
00:16:50Ich versuche es mal mit einem etwas groben Beispiel.
00:16:53Die Ehefrau darf ihrem Ehemann das Seil geben,
00:16:56mit dem er sich erhängen will.
00:16:59Er erhängt sich und baumelt schon am Balken.
00:17:02Dann ist sie aber verpflichtet, ihn sofort wieder loszuschneiden.
00:17:05Tut sie es nicht, wird sie wegen unterlassener Hilfeleistung
00:17:08angeklagt und verurteilt.
00:17:11Denn sie ist schon so weit weg, dass sie es nicht mehr schaffen würde,
00:17:14rechtzeitig zurückzukommen.
00:17:17Das klingt doch völlig unsinnig.
00:17:20Ja, das war es auch. Und ich kann mir beim besten Willen
00:17:23auch nicht vorstellen, dass ein Helfer in einer solchen Situation
00:17:26angeklagt und verurteilt werden würde.
00:17:29Ausschließen konnte man es aber aufgrund der Rechtssituation nicht.
00:17:32Ich darf dem Selbstmörder also die Pistole reichen?
00:17:35Aber ich muss ihn retten, wenn er nicht sofort tot ist,
00:17:38auch wenn er das unbedingt wollte.
00:17:41Das kann ich auch wieder nicht, denn 2015 ist noch
00:17:44ein neues Gesetz in Kraft getreten.
00:17:47Und was stand in dem Gesetz?
00:17:50In dieser neuen Vorschrift im Paragraf 217 des Strafgesetzbuches
00:17:53hieß es, dass unter anderem derjenige bestraft wurde,
00:17:56der, und jetzt zitiere ich, in der Absicht,
00:17:59die Selbsttötung eines anderen zu fördern,
00:18:02diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt,
00:18:05verschafft oder vermittelt.
00:18:08Wem betraf das?
00:18:11Das sind Ärzte, die Patienten mit weit fortgeschrittenen Erkrankungen
00:18:14behandeln, also Menschen, die nur noch eine kurze Lebenserwartung haben.
00:18:17Danke.
00:18:20Das heißt aber, dass nach diesem Gesetz nahestehende Personen
00:18:23die Hilfe zum Suizid leisten durften,
00:18:26Sterbehilfeorganisationen und Palliativmediziner nicht.
00:18:29Dieses Gesetz widersprach unserer Verfassung,
00:18:32denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch
00:18:35das Recht auf selbstbestimmtes Sterben.
00:18:38Der Bürger hat also die Freiheit, sich selbst das Leben zu nehmen
00:18:41und dafür von Dritten in Anspruch nehmen zu können.
00:18:44Seine Entscheidung, die Entscheidung des Bürgers,
00:18:47sich das Leben zu nehmen, ist als Akt autonomer Selbstbestimmung zu respektieren.
00:18:50Und deshalb hat das Bundesverfassungsgericht
00:18:53im Februar 2020 völlig zu Recht
00:18:56den Paragraf 217 vernichtlich erklärt.
00:18:59Bitte, Ruhe bitte.
00:19:02Frau Professorin Litten,
00:19:05schützt die Verfassung denn die Bürger nicht?
00:19:08Aber vor was?
00:19:11Die Verfassung ist, wie gesagt, ein Freiheitsrecht des Menschen.
00:19:14Ich meine den Schutz von Sterbehilfeorganisationen.
00:19:17Also von Firmen, die aus Gewinnstreben Menschen zum Suizid verführen.
00:19:20Ja, absolut, es ist die Pflicht des Gesetzgebers,
00:19:23solche Auswüchse zu verbieten.
00:19:26Aber die Schweizer Sterbehilfeorganisationen zum Beispiel
00:19:29sind gemeinnützige Vereine.
00:19:32Sie haben gar nicht das Ziel, finanzielle Gewinne zu erwirtschaften.
00:19:35Darf der Gesetzgeber es trotzdem verbieten?
00:19:38Nein. Nein?
00:19:41Also ob der Wunsch von Dauer ist?
00:19:44Ja, das kann der Staat zum Beispiel prüfen.
00:19:47Er kann prüfen, ob Sterbehilfevereinigungen zuverlässig sind.
00:19:50Er kann die Aufklärungs- und Meldepflicht von Patienten regulieren.
00:19:53Auch eine umfassende Beratung halten Richter für zwingend.
00:19:56Also wenn ich das richtig verstehe,
00:19:59dann darf der Gesetzgeber seine Zustimmung nicht davon abhängig machen,
00:20:02ob es sich um eine unheilbare Krankheit handelt.
00:20:05Das trifft zu, ja.
00:20:08Um nochmal anders zu fragen,
00:20:11ob es sich um eine unheilbare Krankheit handelt,
00:20:14dann darf der Gesetzgeber seine Zustimmung nicht davon abhängig machen.
00:20:17Wie wird das in anderen Ländern geregelt?
00:20:20Nehmen wir Österreich.
00:20:23Dort ist die aktive Sterbehilfe strafbar.
00:20:26Sie fällt entweder unter den Tatbestand des Mordes,
00:20:29der Tötung auf Verlangen oder der Mitwirkung am Selbstmord.
00:20:32Aber in den Niederlanden zum Beispiel
00:20:35ist der ärztlich assistierte Suizid erlaubt.
00:20:38Dort müssen die Ärzte einen Bericht erstellen,
00:20:41dann wird die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.
00:20:44Solche Regelungen wären auch bei uns denkbar.
00:20:47Ich hatte das Strafrecht immer so verstanden,
00:20:50dass es auch unser Leben schützen soll.
00:20:53Aber das tut es doch. Jede Hilfe zu einem Suizid,
00:20:56der nicht frei verantwortlich begangen wird,
00:20:59ist mit hohen Strafen belegt.
00:21:02Die Verfassung darf ihre Bürger aber auch nicht bevormunden.
00:21:05Aber es kann ja nicht die Aufgabe des Staates sein,
00:21:08einem Suizid zu helfen.
00:21:11Es gibt aber auch andere Konsequenzen.
00:21:14Wenn jeder seinen freien Willen ausleben kann
00:21:17und sich mithilfe eines Arztes töten darf,
00:21:20dann könnte auch eine 18-Jährige das Medikament verlangen,
00:21:23weil sie vielleicht gerade Liebeskummer hat.
00:21:26Oder ein 20-Jähriger, weil er seine Arbeit verloren hat
00:21:29und deshalb verzweifelt ist.
00:21:32Wissen Sie, Frau Keller, so merkwürdig das für Sie klingen mag,
00:21:35aber tatsächlich gibt es keine Rechtspflicht zu leben.
00:21:38Es kann sie in einem freiheitlichen Verfassungsstaat
00:21:41den freien Willen ernst nehmen.
00:21:44Dann können Sie den Suizidwunsch eines jungen, gesunden Menschen
00:21:48und den eines kranken, alten Menschen
00:21:51rechtlich nicht unterschiedlich beurteilen.
00:21:59Aber natürlich und ganz klar muss genau überprüft werden,
00:22:03ob überhaupt ein freier Willensentschluss vorliegt.
00:22:06Bei einem psychisch kranken Menschen würde ich das z.B. verneinen.
00:22:08Aber mit dieser Argumentation
00:22:11dürfen sich jetzt auch Minderjährige selbst töten.
00:22:14Belgien z.B. hat in dieser Hinsicht ein sehr liberales Sterbehilfegesetz.
00:22:17Seit 2014 dürfen dort auch Minderjährige
00:22:20ärztlich assistierten Suizid in Anspruch nehmen.
00:22:23Ist es schon mal passiert?
00:22:26Drei solcher Fälle sind aus den Jahren 2016 und 2017 bekannt.
00:22:29Und wie alt waren die Kinder?
00:22:32Es waren zwei Kinder und ein Jugendlicher.
00:22:359, 11 und 17 Jahre alt.
00:22:38Und es wurde wirklich erlaubt?
00:22:41Alle drei waren unheilbar krank.
00:22:44Der erste litt an einer schweren Stoffwechselstörung,
00:22:47der andere an bösartigen Hirntumoren,
00:22:50der dritte an tödlichem Muskelschwund.
00:22:53Ihr Leben war ihnen nur noch eine Qual.
00:22:56Sie wollten sterben.
00:22:59Und natürlich wurden die Eltern und die Ärzte zuvor befragt.
00:23:02Ihre Zustimmung war selbstverständlich die Voraussetzung.
00:23:05Gibt es sowas auch in anderen Ländern?
00:23:08Luxemburg und Niederlande, ja.
00:23:11Das ist ein Dammbruch.
00:23:14Aber die Binnelux-Staaten sind doch nicht weniger rechtsstaatlich als wir.
00:23:18Und die Diskussion, die wir hier heute führen, die gab es und gibt es dort noch immer.
00:23:23Aber wenn Ärzte sowas tun, dann führt das zu Extremen.
00:23:26Wir haben das in unserer Geschichte erlebt.
00:23:29Denken Sie an die Euthanasie im Nationalsozialismus.
00:23:32Die Nazis ermordeten 300.000 Menschen
00:23:35mit körperlicher und geistiger Behinderung.
00:23:38Sie sterilisierten über 400.000 Männer und Frauen.
00:23:41Es wurden 10.000 Erbkranke,
00:23:44geistig oder körperlich beeinträchtigte Säuglinge und Kinder
00:23:47in sogenannten Kinderfachabteilungen umgebracht.
00:23:50Und das Ziel war die Idee einer Rassenhygiene,
00:23:53die Vernichtung sogenannten unwerten Lebens.
00:23:56Das waren Morde, bestialische Tötungen gegen den Willen der Betroffenen.
00:24:00Das hat mit unserer Diskussion heute hier überhaupt nichts zu tun.
00:24:03Doch, das hat es durchaus. Es fing auch damals harmlos an.
00:24:05Es ging um Fremdbestimmung.
00:24:08Um Morde zum angeblichen Wohl der Gesellschaft.
00:24:11Das hat mit unserer Diskussion heute hier überhaupt nichts zu tun.
00:24:14Wir diskutieren über das komplette Gegenteil,
00:24:17nämlich über Selbstbestimmung eines mündigen Bürgers.
00:24:20Aber das ist doch immer der Anfang.
00:24:23Der amerikanische Arzt Leo Alexander,
00:24:26der die Prozesse gegen die Euthanasierze der Nazis beobachtete,
00:24:29schrieb 1949, dass allen,
00:24:32die sich mit diesen Prozessen beschäftigten, klar geworden sei,
00:24:35dass diese Verbrechen aus kleinen Anfängen wuchsen.
00:24:38Am Anfang standen zunächst feine Akzentverschiebungen
00:24:41in der Grundhaltung der Ärzte.
00:24:44Es begann mit der Auffassung, die in der Euthanasiebewegung grundlegend ist,
00:24:47dass es Zustände gibt, die als nicht mehr lebenswert zu betrachten sind.
00:24:50In ihrem Frühstadium betraf diese Haltung nur die schwer und chronisch Kranken.
00:24:54Aber nach und nach wurde der Bereich jener,
00:24:57die unter diese Kategorie fallen, erweitert.
00:25:00Und auch die sozial Unproduktiven, die ideologisch Unerwünschten,
00:25:02dazu gerechnet. Zitat Ende.
00:25:05Es ist doch offensichtlich, Frau Professorin Lippen,
00:25:08dass es auch damals harmlos begann
00:25:11und erst später zu den hunderttausendfachen Morden führte.
00:25:14Wie soll der Einzelne in Zukunft geschützt werden, wenn Ärzte damit beginnen?
00:25:17Sie können prüfen lassen, ob ein Sterbewunsch ernst gemeint ist,
00:25:20ob er von Dauer ist, ob er gut überlegt ist
00:25:23oder ob er von Dritten beeinflusst worden ist.
00:25:26Ich glaube, das ist falsch.
00:25:29Wenn wir damit anfangen, solche Voraussetzungen allgemeingültig zu formulieren,
00:25:32ist das nicht handelbar.
00:25:35Und irgendwann werden wir auch noch über das Töten verhandeln.
00:25:38Und davor müssen wir uns schützen.
00:25:41Das wird Ihnen kaum gelingen, wenn Sie allein die Tatsache ignorieren,
00:25:44dass es Menschen gibt, die sich töten wollen.
00:25:47Denken Sie doch an die Fälle, die Frau Dr. Brand vorhin aufgeführt hat.
00:25:50Oder an die zahlreichen Schienensuizide, die Menschen, die sich vor den Zug werfen.
00:25:53Diese Fälle sind furchtbar.
00:25:56Trotzdem dürfen Ärzte einem gesunden Menschen nicht beim Suizid helfen.
00:25:59Die Frage, ob ein Arzt seinem Patienten helfen will,
00:26:02wird von der politischen Vorstellung beantworten müssen.
00:26:05Und das hat das Bundesverfassungsgericht in großer Klarheit entschieden.
00:26:08Wir können zutiefst bedauern, wenn ein Mensch sich das Leben nehmen will.
00:26:11Wir können und müssen alles versuchen, ihn umzustimmen.
00:26:14Aber wenn uns das nicht gelingt,
00:26:17dann müssen wir seine freie Entscheidung respektieren und akzeptieren.
00:26:23Danke. Ich habe keine weiteren Fragen.
00:26:26Vielen Dank, Frau Dr. Keller. Herr Biegler, bitte.
00:26:29Sie dürfen gerne sitzen bleiben.
00:26:32Ich stehe lieber.
00:26:35Frau Professorin Litten, mein Name ist Biegler, ich bin Rechtsanwalt.
00:26:38Wie Sie gerade gehört haben, vertrete ich die Interessen von Herrn Gärtner.
00:26:41Ich weiß, wer Sie sind.
00:26:44Ach, woher?
00:26:47Nun ja, eine Reihe von Verhandlungen, in denen Sie verteidigt haben,
00:26:50endeten vor dem Verfassungsgericht, in dem ich Richterin bin.
00:26:53Naja, man tut, was man kann.
00:26:56Sie haben gerade gesagt,
00:26:58dass die freie Entscheidung nach ethisch-moralischen Vorstellungen zu treffen sei.
00:27:01Ja.
00:27:04Ist sie nach christlichen Werten zu entscheiden?
00:27:07Das ist möglich, ja, aber nicht zwingend.
00:27:10Können Sie uns das erklären?
00:27:13Im Artikel 4 des Grundgesetzes, im ersten Absatz, heißt es,
00:27:16die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen
00:27:19und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
00:27:22Und der zweite Absatz fügt hinzu,
00:27:25die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
00:27:28Jeder Bürger kann glauben, was er möchte.
00:27:31Der christliche Glaube wird im Vergleich zu anderen Religionen nicht bevorzugt.
00:27:34Das Bundesverfassungsgericht hat es mal so ausgedrückt.
00:27:37Die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse
00:27:40und die Ausgrenzung Andersgläubiger ist verboten.
00:27:43Jetzt hören und lesen wir immer wieder,
00:27:46dass unser Staat auf christlichen Werten beruht.
00:27:49Auch in der Verfassung gibt es ja einen direkten Bezugauftrag.
00:27:52In der Präambel steht, dass das Grundgesetz in der Verantwortung
00:27:55vor Gott und den Menschen erlassen worden sei.
00:27:58Das ist in vielen westlichen Staaten der Fall.
00:28:01Heißt das ja nicht, dass der Staat sich zum Christentum bekennt?
00:28:04Nein. Die Rechtswissenschaft nimmt an,
00:28:07dass die Erwähnung von Gott in der Präambel ein Ausdruck von Demut sei.
00:28:11Demut?
00:28:14Ja. Unser Grundgesetz wurde kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beraten
00:28:18und einen Nazistaat wollte man nie wieder.
00:28:21Was hat das mit Gott zu tun?
00:28:24Jeder totalitäre Staat begreift sich als absolut.
00:28:28Über ihn gibt es keine Wahrheit.
00:28:31Der Staat ist selbst weg.
00:28:34Nun, das lehnten die Mütter und Väter des Grundgesetzes ab.
00:28:37Sie wussten aber auch, dass die Verfassung wie jedes Gesetz
00:28:40anfällig und fehlerhaft ist.
00:28:43Es gibt keine staatliche Ordnung, die perfekt wäre.
00:28:46Aber zu wissen, dass das, was der Mensch tut, begrenzt ist,
00:28:49das ist demütig und deshalb steht Gott in der Präambel.
00:28:52Das Grundgesetz hat also nicht das Staatsziel,
00:28:55das Christentum durchzusetzen.
00:28:58Die christlichen Werte, was auch immer sie sein mögen,
00:29:01haben für uns hier in der Frage, die wir diskutieren,
00:29:04keine Verbindlichkeit.
00:29:07Das trifft zu.
00:29:10Danke.
00:29:13Wir werden zur Frage der christlichen Werte auch noch
00:29:16Herrn Bischof Thiel hören.
00:29:19Na gut, Frau Dr. Keller hat gerade davon gesprochen,
00:29:22dass sie jetzt erlaubte Beihilfe zum Suizid zu einem,
00:29:25wie sie es formulierte, Dammbruch führen würde.
00:29:28Liberale Sterbehilfegesetze oder eine entsprechende Rechtsprechung
00:29:31gibt es in der Schweiz, Belgien, Luxemburg, in den Niederlanden,
00:29:34in Kanada und in einigen Staaten der USA,
00:29:37und zwar in Oregon, Washington, Vermont, Colorado und Kalifornien.
00:29:40In Schweden ist der assistierte Suizid ebenfalls erlaubt,
00:29:43allerdings nur, wenn der Helfer eine Privatperson ist.
00:29:46Und wie sind die Erfahrungen in diesen Ländern mit der Sterbehilfe?
00:29:49Nehmen wir zum Beispiel die Schweiz?
00:29:52In der Schweiz gibt es sechs Sterbehilfeorganisationen.
00:29:55Exit ist bei weitem die Größte,
00:29:58120.000 Mitglieder, und das gibt sie seit mehr als 30 Jahren.
00:30:01Wie oft hat der Verein Sterbehilfe geleistet?
00:30:04Seit seiner Gründung 1982 in mehr als 3.000 Fällen.
00:30:09Und gibt es in diesen über 30 Jahren seit der Gründung
00:30:12irgendwelche Urteile gegen Ärzte oder Sterbebegleiter?
00:30:16Nein, wobei jeder einzelne Todesfall durch die Behörden überprüft wird.
00:30:20Wie ist die Sterbehilfe in der Schweiz gesetzlich geregelt?
00:30:24Die Hilfe zum Suizid ist straffrei,
00:30:26wenn sie nicht aus selbstsüchtigen Motiven erfolgt.
00:30:29Das ist alles?
00:30:31An gesetzlichen Regelungen ist das alles ja,
00:30:33aber Exit verlangt noch gewisse Voraussetzungen.
00:30:35Die Urteils- und Handlungsfähigkeit des Patienten,
00:30:37die Konstanz und Autonomie des Sterbewunsches
00:30:39und eine schwere Erkrankung mit schlechter Prognose und unerträglichem Leid.
00:30:43Welche Aufgabe kommt den Ärzten dazu?
00:30:46Sie verschreiben das Medikament Natrium Pentobarbital,
00:30:49und zwar in einer Dosis, die absolut sicher zum Tod führt, und zwar 15 Gramm.
00:30:53Und natürlich sind die Schweizer Ärzte auch ihrem Standesrecht
00:30:58und ihrem beruflichen Ethos unterworfen,
00:31:00aber sie haben einen gewissen Spielraum,
00:31:02und der wird von der Schweizer Ärztekammer respektiert.
00:31:05Wie alt sind die Patienten im Durchschnitt?
00:31:07Im Durchschnitt etwa 76 Jahre alt und 50 Prozent leiden an Krebs.
00:31:11Jetzt war immer wieder zu lesen,
00:31:13dass Deutsche in die Schweiz fahren, um sich dort zu töten.
00:31:16Ja, das ist richtig. Es gibt noch einen anderen Verein, Dignitas,
00:31:19und der bietet die Begleitung und die Beihilfe zum Suizid auch für Ausländer an.
00:31:23Dazu haben sich 2017 zum Beispiel dort 71 deutsche Staatsbürger das Leben genommen.
00:31:28Insgesamt waren das seit der Gründung des Vereins laut Angaben des Vereins 1.150 Deutsche.
00:31:34Gab es also durch die Sterbehilfe den Dammbruch, den Frau Dr. Keller beklagte?
00:31:40In der Schweiz und in Deutschland gibt es etwa gleich viele Suizide,
00:31:43und auch in den Niederlanden gab es keine signifikante Erhöhung der Sterberate.
00:31:47Angesichts dieser Zahlen scheint mir die Rede von einem Dammbruch doch verfehlt zu sein.
00:31:53Vielen Dank. Ich habe keine weiteren Fragen. Nein, die Sachverständige.
00:31:58Danke, Frau Prof. Litten.
00:32:01Dann begrüße ich jetzt Herrn Prof. Sperling.
00:32:13Vielen Dank, Herr Prof. Sperling, dass Sie die Zeit gefunden haben.
00:32:17Selbstverständlich.
00:32:19Herr Prof. Sperling, Sie sind im Vorstand der Bundesärztekammer?
00:32:21Im Präsidium.
00:32:23Können Sie den Mitgliedern des Rats, die keine Ärzte sind,
00:32:26bitte zunächst erklären, was die Bundesärztekammer eigentlich ist?
00:32:29Sie ist die Spitzenorganisation der ärztlichen Selbstverwaltung.
00:32:33Sie vertritt die berufspolitischen Interessen der rund 500.000 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland.
00:32:39Vielen Dank. Dann bitte, Frau Dr. Keller, stellen Sie Ihre Fragen.
00:32:43Danke.
00:32:46Würden Sie uns bitte die Ansicht Ihrer Kammer zu der Frage eines ärztlich begleiteten Suizider läutern?
00:32:51Eigentlich ist unsere Auffassung relativ einfach.
00:32:55Auch den Nichtärzten hier ist sicherlich der Eid des Hippokrates ein Begriff.
00:33:00Des Gelöbnis des Arztes.
00:33:02Hippokrates war ein griechischer Arzt, der lebte 400 vor Christus.
00:33:06Nach ihm wurde die erste Formulierung ärztlicher Ethik benannt.
00:33:10Dieser Eid verbot es schon in der Antike, Patienten todbringende Mittel zu verabreichen.
00:33:16Daran hat sich bis heute nichts geändert.
00:33:18Führen Sie das bitte weiter aus?
00:33:19Die Aufgabe eines Arztes ist es, Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und gegebenenfalls wiederherzustellen.
00:33:27Leiden zu lindern und sterbenden Beistand zu leisten.
00:33:30Was ist mit der Hilfe bei der Selbsttötung?
00:33:33Das ist keine Sterbebegleitung. Ärzte dürfen so etwas nicht tun.
00:33:37Es widerspricht diesem Eid und dem Ethos der Ärzteschaft.
00:33:41Und haben Sie Ihre Mitglieder dazu gefragt?
00:33:43Ja. Eine überwältigende Mehrheit lehnt das ab.
00:33:4562 Prozent sind doch keine überwältigende Mehrheit.
00:33:46Herr Rechtsanwalt, wir sind solche Zwischenrufe nicht gewohnt. Bitte lassen Sie uns die Form wahren, ja?
00:33:52Wir haben gehört, dass jeder Mensch das Recht hat, selbstbestimmt zu sterben.
00:33:57Ja, ich habe große Probleme damit.
00:34:01Womit?
00:34:03Ja, damit an eine freie Selbstbestimmung des Patienten zu glauben.
00:34:07Und warum?
00:34:09Es gibt Untersuchungen in Europa, den Vereinigten Staaten, Australien, Asien zum Suizid.
00:34:14Und dabei hat sich herausgestellt, dass die meisten Selbstmörder an schweren psychischen Störungen leiden.
00:34:2090 bis 95 Prozent der Menschen, die sich das Leben nahmen, waren psychisch erkrankt.
00:34:26Aber wir können diesen Menschen helfen. Depressionen lassen sich heute gut behandeln.
00:34:32In der Praxis hat sich gezeigt, dass sich nach einer depressiven Phase in aller Regel der Wunsch zu sterben wieder verflüchtigt.
00:34:39Die Menschen finden zurück ins Leben.
00:34:41Es kann auch nicht richtig sein, dass ein Arzt in dieser Situation zum Tod verhilft.
00:34:46Das wäre zynisch. Er soll heilen und nicht töten.
00:34:50Wird sich das Bild des Arztes in der Öffentlichkeit verändern, wenn er Patienten auf deren Wunsch hin ein tödliches Medikament verabreicht?
00:34:56Ja, natürlich. Ein Arzt, der hilft zu töten, zerstört das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient.
00:35:03Dieses Vertrauensverhältnis ist ja kein Selbstzweck, sondern Grundlage aller Behandlung.
00:35:07Aber was macht für einen Patienten dieses Verhältnis aus?
00:35:10Jeder Patient kann sich darauf verlassen, dass der Arzt sich an bestimmte Regeln hält.
00:35:15Er weiß, dass er nicht an sein Bett treten wird, um ihn zu töten.
00:35:18Ohne solche grundsätzlichen Berufsregeln gibt es kein Vertrauen.
00:35:23Und warum, glauben Sie, ist dieses Vertrauen gefährdet, wenn der Arzt Beifall zum Suizid leistet?
00:35:27Nur wenn ein Arzt niemals töten darf, sichert das dem Patienten die letzte Gewissheit.
00:35:33Und was bedeutet das für die Sterbebegleitung?
00:35:35Wir Ärzte leisten Hilfe im und beim Sterben. Wir können Behandlungen begrenzen.
00:35:41Wir können lebenserhaltende Maßnahmen beenden, wenn der Patient es verlangt.
00:35:46Aber es ist eine Katastrophe, wenn wir Hilfe zum Sterben leisten sollen.
00:35:52Es ist freiwillig. Kein Arzt muss sowas tun.
00:35:54Ich möchte nochmal über Herrn Gärtner sprechen.
00:35:57Er ist kein psychisch kranker Mensch. Er möchte keine Aufmerksamkeit, sondern er will sterben.
00:36:02Ja, aber warum? Ich kann das aus der Ferne nicht beurteilen.
00:36:07Die meisten Menschen haben Angst vor Krankenhäusern, vor Schmerzen, vor Hilflosigkeit, vor der Einsamkeit.
00:36:14Dagegen müssen wir etwas unternehmen.
00:36:16Und was können wir tun?
00:36:18Wir müssen der Bevölkerung flächendeckend Palliativmedizin anbieten.
00:36:21Wir können heute das Leid und die Schmerzen am Lebensende weitestgehend ausschalten
00:36:26und so ein würdiges Sterben in einem Hospiz oder im besten Fall sogar zu Hause ermöglichen.
00:36:32Das kostet viel Geld, ist aber absolut notwendig.
00:36:36Aber jetzt möchte Herr Gärtner, wie er vorhin gesagt hat, wie ich auch aus zahlreichen Gesprächen weiß,
00:36:41ein würdesterben. Das bedeutet nicht anschläuchen und auch nicht hilflos.
00:36:45Ja, ich kann mich nur wiederholen. Ich kenne Herrn Gärtner nicht persönlich.
00:36:51Aber offenbar misstraut er der Medizin, weil er sehr schlechte Erfahrungen gemacht hat.
00:36:55Das ist nachvollziehbar. Nur denken Sie doch auch an die zahlreichen Hospize,
00:36:59die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter, die Palliativmediziner, das Pflegepersonal,
00:37:04die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Leid und Schmerz zu lindern.
00:37:08Zu behaupten, nur der ärztlich assistierte Suizid wäre menschenwürdig,
00:37:12das ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich jeden Tag um Todkranke kümmern.
00:37:18Ein würdevolles Sterben ist also auch in Hospizen möglich?
00:37:21Ja, gerade da.
00:37:23Vielen Dank.
00:37:25Dann bitte Herr Biegler.
00:37:27Ich verstehe es einfach nicht.
00:37:30Was verstehen Sie denn nicht?
00:37:33Ich verstehe nicht den Unterschied, den Sie machen.
00:37:36Wenn sich ein Patient wünscht, dass Sie die Behandlung abbrechen, dann tun Sie das.
00:37:41Ja, dazu bin ich verpflichtet. Der Patient hat das Recht, selbst darüber zu bestimmen.
00:37:46Aber wenn er Sie darum bittet, Ihnen ein Mittel zu geben, mit dem er sich selbst töten kann,
00:37:50dann halten Sie das für falsch.
00:37:52Ja.
00:37:53Sehen Sie den Unterschied? Verstehe ich nicht.
00:37:56Ich will Ihnen das gerne erklären. Der Abbruch einer Behandlung ist ein Unterlassen.
00:38:00Wenn ich ihm ein Mittel gebe, dann ist das ein aktives Tun.
00:38:03Aber ist das nicht, verzeihen Sie, etwas wirklichkeitsfremd?
00:38:06Bei einem Behandlungsabbruch müssen Sie doch auch Maschinen abstellen, Stäuche ziehen,
00:38:10die künstliche Ernährung stoppen oder was Sie sonst noch so machen.
00:38:13Sie handeln also, Sie tun etwas aktiv, wie Sie sich ausdrücken.
00:38:17Aber bei einer Beihilfe zum Suizid will ich den Tod herbeiführen.
00:38:22Bei einem Behandlungsabbruch nehme ich ihn nur in Kauf.
00:38:25Aber wenn Sie eine Behandlung abbrechen, dann ist doch der Tod keine unbeabsichtigte Nebenfolge.
00:38:30Im Gegenteil, der Tod, das Sterbenlassen, ist das Ziel.
00:38:33Nein, der Tod ist niemals unser Ziel.
00:38:35Sehen Sie, es ist doch etwas völlig anderes, wenn jemand durch eine unheilbare Krankheit letztlich stirbt
00:38:41oder daran, dass er sich vergiftet.
00:38:43Wenn wir beim Sterben helfen, wird sich die Gesellschaft verändern.
00:38:47Wir werden anders über das Sterben denken.
00:38:49Wer behauptet das?
00:38:51Die Bundeserste Kammer.
00:38:53Der Welterste Bund sieht das so.
00:38:55Ich persönlich glaube das auch.
00:38:57Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.
00:39:00Herr Rechtsanwalt, bitte, das ist ein ernstes Thema.
00:39:02Das eignet sich wohl kaum für Karlauer.
00:39:04Aber eine Gefahr zu beschwören, heißt ja nicht, eine Sache zu widerlegen.
00:39:07Aber gut, ich versuche es anders.
00:39:10Warum wird sich die Gesellschaft denn verändern und wie?
00:39:13Wenn wir also nun künftig eine solche Leistung anbieten müssen,
00:39:17dann wird es eine Ziffer in der Gebührenordnung dafür geben.
00:39:21Sterbehilfe 146,80 Euro.
00:39:25Wir müssen Ärzte im Studium dafür ausbilden.
00:39:28Professoren werden Seminare zum Töten halten.
00:39:31Das ist dann alles kein grauer Randbereich mehr.
00:39:34Das wird alles inmitten der Gesellschaft stattfinden.
00:39:36Gut, unser oberstes Gericht hat so entschieden.
00:39:38Aber ich wüsste nicht, was daran schlecht sein sollte.
00:39:42Gut, sagt Ihnen die Ulmer Denkschrift noch etwas?
00:39:48Das war 1964 ein Ärzteprotest gegen die damals recht neue Antibabypille.
00:39:53140 Ärzte, darunter viele bekannte Professoren, haben sie unterzeichnet.
00:39:58Die Pille werde zu einer öffentlichen Sexualisierung führen.
00:40:02Der Arzt würde zu einem Zitat, Diener des sich Auslebens.
00:40:06Die Pille, so viele ihrer Kollegen, dürfe deshalb nur verheirateten Frauen verschrieben werden.
00:40:12Ja, ich kann und will, dass ich verteidigen werde.
00:40:15Aber heute geht es um etwas ganz anderes.
00:40:17Also viele ihrer Kollegen damals argumentierten ähnlich wie Sie, sehr verehrter Herr Professor Sperling.
00:40:22Sie sahen in der Empfängnisverhütung ein Zitat, Aufweichen der gesellschaftlichen Moral,
00:40:27wodurch die Bevölkerung langfristig in Sittenlosigkeit zu verfallen drohe.
00:40:31Ja, das war sicherlich übertrieben.
00:40:33Die Prognose Ihrer Kollegen war schlicht falsch.
00:40:36Die Folge der Pille war nicht Sittenlosigkeit, sondern eine Gesellschaft ohne die Peinlichkeit in der 50er Jahre.
00:40:42Ja, das war eine Entwicklung.
00:40:44Eine Entwicklung, genau wie heute.
00:40:45Ja, aber heute haben wir Zahlen.
00:40:47Seit die ärztliche Suizidbeihilfe zum Beispiel in Oregon erlaubt ist,
00:40:51steigerten sich diese Fälle dort zwischen 1998 und 2014 um fast 700 Prozent.
00:40:57Ach kommen Sie, Herr Professor, 700 Prozent, das klingt ja furchtbar.
00:41:00Ich kann Ihnen sagen, wie viele es tatsächlich waren.
00:41:03Letztes Jahr haben sich 218 Patienten eine tödliche Medizin in Oregon verschreiben lassen.
00:41:08Davon umgebracht haben sich 143 Menschen.
00:41:12Sie sehen dadurch auch, wie beruhigend es für manche Menschen sein kann,
00:41:16ein solches Rezept in der Tasche zu haben.
00:41:18Ich finde diese Zahlen dennoch erschreckend.
00:41:20Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das ernst meinen.
00:41:22Ein Jahr zuvor waren es ganze 138 Personen.
00:41:26Und insgesamt waren es in den 20 Jahren, seit dieses Gesetz existiert,
00:41:29gerade einmal 1.275 Menschen, die mithilfe von Ärzten Suizid begingen.
00:41:34Das sind Ihre 700 Prozent, keine 70 Menschen im Jahr?
00:41:38Oregon ist nur ein sehr kleiner Staat.
00:41:39Sie müssen diese Zahlen natürlich auf Deutschland hochrechnen.
00:41:42Und was würde das bedeuten?
00:41:44Jetzt stellen wir uns vor, hier im Saal würde es plötzlich brennen
00:41:47und wir rennen alle zum Notausgang, der genau für diese Situation gebaut worden ist.
00:41:50Wenn Sie jetzt sagen, zu viele Leute nehmen in ihrer Nothilfe beim Suizid in Anspruch,
00:41:54dann hieße das, zu viele Leute nehmen den Notausgang, wenn es brennt?
00:41:57Das ist doch Unsinn.
00:41:59Es ist richtig, Notausgänge zu bauen und es ist richtig, sie zu benutzen.
00:42:02Wenn Sie diese Metapher schon benutzen, der Notausgang, der rettet Leben.
00:42:05Der Suizid bringt den Tod.
00:42:06Aber gut, nochmal, der Hippokratische Eid.
00:42:10Der Hippokratische Eid, den hatte ich ganz vergessen.
00:42:13Sagen Sie, wann schwört ein Arzt den Eid? Zu Beginn seines Studiums, am Ende seines Studiums
00:42:17oder bei der Zulassung als Arzt?
00:42:19Er schwörte nicht ausdrücklich.
00:42:21Ach so, Sie berufen sich hier auf einen Eid, den Sie selbst gar nicht schwören.
00:42:24Dieser Eid verkörpert den moralisch-ethischen Konsens der Ärzteschaft weltweit.
00:42:29Ist das so? Aber steht in diesem 2000 Jahre alten Eid nicht auch,
00:42:33ein Arzt dürfe niemals einen Blasenstein operieren?
00:42:34Ja, das ist natürlich übertrieben.
00:42:36Steht dort nicht auch, ein Arzt dürfe einer Frau niemals ein Abtreibungsmittel verschreiben?
00:42:40Das ist auch veraltet. Es gibt längst eine moderne Fassung des Ärzte-Glöbnisses.
00:42:45Die Genfer Deklaration des Weltärztebundes.
00:42:47Sie haben gerade von der Giftpassage in dem Eid gesprochen.
00:42:50Können Sie die nochmal wiederholen?
00:42:52Der Satz lautet wörtlich, ich werde niemandem, auch nicht auf seine Bitte hin,
00:42:55ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten.
00:42:58Und in der modernen Fassung, die für heute gelten soll, in der Genfer Deklaration also,
00:43:01steht das da auch, dass ein Arzt seinem Patienten niemals ein tödliches Gift verabreichen darf?
00:43:07Nein.
00:43:09Nein? Also diese für Sie so wichtige Passage fehlt also in der modernen Version.
00:43:13Genauso wie der Blasenstein.
00:43:15Bitte, Herr Rechtsanwalt, bitte.
00:43:17Aber etwas anderes steht doch in der modernen Fassung.
00:43:19Ich darf zitieren, ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren.
00:43:24Ja.
00:43:26Und geht es nicht bei der Suizidhilfe genau darum, um die Autonomie und die Würde des Patienten
00:43:31zu retten?
00:43:33So ist der Absatz nicht gemeint.
00:43:35Der Weltärztebund hat gerade eben noch einmal deutlich gesagt, übrigens wie die Bundesärztekammer,
00:43:39ein Arzt handelt unethisch, wenn er beim Suizid hilft.
00:43:42Aber widerspricht Sie das nicht?
00:43:44Wenn Ihre Kunst die Lebensbedingungen eines Patienten nicht mehr verbessern kann,
00:43:48ich also am Leben nur noch leide, muss dann Ihre Ethik nicht genau die Suizidhilfe erlauben?
00:43:53Ein Arzt kann nicht dem Tod dienen.
00:43:55Ich werde mich nicht dazu zwingen lassen.
00:43:57Kein Mensch will Sie zu irgendwas zwingen.
00:43:58Die Entscheidung, ob Sie einem Patienten so helfen wollen oder nicht, die liegt ganz bei Ihnen.
00:44:02Es geht doch darum, ob Ärzte Ihren Patienten beim Suizid helfen dürfen, nicht ob sie müssen.
00:44:07Ich glaube, Sie wollen mich nicht verstehen.
00:44:09Glauben Sie.
00:44:11Ist es besser, die Menschen auf Messer, Stricke, Sprünge aus Hochhäusern oder anderen grausamen Irrsinn zu verweisen?
00:44:16Wir haben es doch gerade von Frau Dr. Brandt sehr eindrücklich beschrieben bekommen.
00:44:20Nun gut, Herr Professor Sperling, Sie haben vorhin gesagt, dass die ärztliche Beihilfe zum Suizid
00:44:25das Arzt-Patienten-Verhältnis schädigen würde.
00:44:28Es geht also um Vertrauen.
00:44:30Ja, natürlich. Der Patient verliert das Vertrauen.
00:44:33Ich würde einem Arzt vertrauen, der mir hilft, wenn es darauf ankommt.
00:44:36Das kann eben auch das Sterben sein.
00:44:38Sie glauben, dass die Medizin eine neutrale Tätigkeit ist, eine bloße Dienstleistung.
00:44:44Aber das stimmt nicht. Das ist auch ein moralischer Beruf.
00:44:47Ein Arzt übernimmt eine Verantwortung für den Patienten.
00:44:50Deshalb ist die bessere Antwort auf Ihre Fragen nicht, die Suizidbeihilfe zu erlauben,
00:44:55sondern umfassende Palliativmedizin anzubieten.
00:44:56Aber es gibt auch andere Ärzte.
00:44:58Es gibt Ärzte, die sagen, der letzte Dienst an einem Mitmenschen ist ein Akt tiefstem Respekts,
00:45:03ein Akt höchster Humanität.
00:45:05Ich bin vor 20 Jahren im Krankenhaus durch Sterbeabteilungen gegangen.
00:45:08Ich habe Menschen vor Schmerzen schreien hören.
00:45:10Das ist heute anders.
00:45:12Niemand muss mehr leiden.
00:45:14Wir können in nahezu allen Fällen den Menschen die Schmerzen nehmen.
00:45:17In nahezu allen Fällen?
00:45:19Ja, der Sterbewunsch verschwindet damit.
00:45:21Ich weiß.
00:45:23Und was ist in den Fällen, wo Ihre Kunst nicht so erfolgreich ist?
00:45:26Wir brauchen nicht so zu tun, als wenn die Palliativmedizin in 100 Prozent helfen kann.
00:45:30Doch, fast immer.
00:45:32Wie kommt es dann, dass die Patienten, die von Ihrer Palliativmedizin bestens betreut sind,
00:45:36trotzdem sterben wollen?
00:45:38Das kommt nur sehr selten vor.
00:45:4020 Prozent der Palliativpatienten möchten sich selbst töten.
00:45:4320 Prozent. Das scheint mir nicht gerade selten zu sein.
00:45:45Und Sie wissen selbst, Herr Professor Sperling,
00:45:46dass die Fenster von Krebsstationen, wenn sie in den oberen Etagen von Krankenhäusern liegen,
00:45:51oft vergittert sind.
00:45:53Aber selbst wenn Sie recht hätten,
00:45:55ist es nicht so, dass es in unserem Land viel zu wenig Palliativstationen gibt?
00:45:58Ja, das ist richtig.
00:46:00Die müssen wir dringend ausbauen, ohne jede Frage.
00:46:03Wie viele Ärzte haben denn in Deutschland eine Ausbildung zum Palliativmediziner?
00:46:07Ja, zurzeit etwa drei Prozent.
00:46:10Drei Prozent?
00:46:12Ja.
00:46:14Was nützt uns Ihre freundliche Vision von einem schmerzfreien Tod,
00:46:18wenn Sie ihn gar nicht allen Patienten anbieten können?
00:46:20Es wird Jahrzehnte dauern, bis es soweit ist.
00:46:22Ja, aber deswegen jetzt auf die schnelle Lösung zurückzugreifen, halte ich für falsch.
00:46:28Interessiert es Sie denn nicht, dass es inzwischen eine Reihe von seriösen Umfragen gibt,
00:46:32die alle zu dem gleichen Ergebnis kommen?
00:46:3460 bis 70 Prozent der Menschen wollen, dass ein Arzt ihnen beim Suizid hilft, wenn sie ihn darum bitten.
00:46:38Und nach einer Umfrage aus dem Jahr 2003 haben 84 Prozent der Bürger folgender Aussage zugestimmt.
00:46:45Wenn mein Hausarzt einem unheilbar kranken Patienten bei der Selbsttötung hilft,
00:46:49würde ich das Vertrauen zu ihm nicht verlieren.
00:46:51Das ist das Gegenteil dessen, was Sie hier gerade erzählen.
00:46:53Noch einmal, Herr Biegler, es geht uns um die Heilung des Patienten.
00:46:56Das ist Grund und Wesen der Medizin.
00:46:59Ärztliche Beihilfe zum Suizid verbaut den Weg für eine adäquate Behandlung.
00:47:03Und ja, um Ihnen zu antworten, ich kenne die Umfragen.
00:47:06Natürlich kenne ich sie.
00:47:08Sie haben recht, sie beeindrucken mich nicht übermäßig, solange sie mit unserem ärztlichen Ethos unvereinbar sind.
00:47:13Aber Ihnen ist doch bewusst, dass die Menschen im Saal applaudiert haben im Februar 2020,
00:47:17als das Bundesverfassungsgericht das Urteil zur Sterbehilfe verkündet hat.
00:47:20Das ist fast noch nie vorgekommen.
00:47:22Der Vorsitzende Ihrer Bundesärztekammer hat gesagt, der ärztlich assistierte Suizid sei Drecksarbeit für die Ärzte.
00:47:34Ja, ich kann nur sagen, dass das in einem anderen Zusammenhang formuliert...
00:47:37Mediziner, so Ihr Präsident, seien keine Mechaniker des Todes.
00:47:41Man möge diese Aufgabe doch bitte den Klempnern überlassen.
00:47:46Das ist sicherlich ein sehr drastisches Bild, um den Unterschied zwischen einer Dienstleistung
00:47:51und adäquater medizinischer Behandlung deutlich zu machen.
00:47:54Wissen Sie, was das für jemanden wie mich bedeutet?
00:47:57Für jemanden, dessen Frau darum gebettelt hat, dass die Ärzte ihr helfen mögen zu sterben.
00:48:05Meine Frau und ich, wir haben unser ganzes Leben so gelebt, wie wir es für richtig hielten.
00:48:14Finden Sie es nicht eine bodenlose Unverschämtheit, wenn Sie uns zu Klempnern schicken wollen?
00:48:23Nein, aber ich finde Ihre Forderung unverschämt, dass ein Arzt oder eine Ärztin wie beispielsweise Frau Dr. Brandt
00:48:30Ihnen einem gesunden und vitalen Menschen bei ihrem Suizid helfen soll.
00:48:35Das ist für einen Mediziner natürlich eine ethisch-morale...
00:48:39Ihr verdammtes Ethos steht nicht über dem Ethos der Gesellschaft.
00:48:45In diesem Lande leben freie Menschen.
00:48:48Sie können und dürfen über ihr Leben und Sterben selbst entscheiden.
00:48:56Warum haben Sie kein Vertrauen zu Ihren Patienten?
00:49:02Warum glauben Sie, Sie dürfen sich vor Gott halten?
00:49:19Ich habe auch keine Fragen mehr an den medizinischen Sachverständigen.
00:49:24Meine Damen und Herren, bitte, das geht zu weit.
00:49:27Ich verstehe durchaus Ihre emotionale Anspannung, aber hier ist niemand angeklagt.
00:49:32Bei aller Schärfe in der Sache bitte ich Sie doch, die Form zu wahren, ja? Gut.
00:49:36Vielen Dank, Herr Professor Sperling.
00:49:40Dann hören wir jetzt Herrn Bischof Thiel als letzten Sachverständigen.
00:49:49Guten Tag, Herr Bischof Thiel. Guten Tag.
00:49:53Darf ich Sie bitten, sich den Mitgliedern des Rats kurz vorzustellen?
00:49:57Mein Name ist Herr Motthiel, ich bin Mitglied der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz.
00:50:02Sagen Sie uns bitte, was das ist?
00:50:05Die Glaubenskommission ist zuständig für Fragen des Glaubens und für ethische Fragen der Biologie und der Medizin.
00:50:11Und die Bischofskonferenz?
00:50:13Das ist ein Zusammenschluss der katholischen Bischöfe.
00:50:16Danke, gut. Dann bitte, Frau Dr. Keller.
00:50:20Herr Bischof, können Sie uns bitte die Haltung der Kirche zur Beihilfe zum Suizid erklären?
00:50:26Wir sollten uns zunächst nochmal klar machen, worüber wir hier überhaupt reden.
00:50:31Nämlich?
00:50:33Von der Antike bis zur Aufklärung, also 2500 Jahre lang,
00:50:38gab es eine Übereinkunft, solche Akte der Gewalt, die das eigene Leben beenden, abzulehnen.
00:50:44Und das war nicht nur in der Philosophie so.
00:50:47Alle maßgeblichen Religionen in unserem Kulturkreis, Christentum, Judentum, Islam,
00:50:52stimmen dem auch heute noch zu.
00:50:55Die christliche Kirche hat in der Gesellschaft immer noch ein Wächteramt.
00:51:00Das klingt nach Game of Thrones.
00:51:02Herr Biegler, ich glaube nicht.
00:51:05Auch die Menschen, die am meisten mit dem Tod zu tun haben, die Ärzte, lehnen eine Beihilfe zum Selbstmord ab.
00:51:12Aber wie sehen Sie es?
00:51:14Ich glaube an das Leben.
00:51:16Ich glaube an den unendlichen Wert des Lebens, in jedem Augenblick der menschlichen Existenz.
00:51:23Ich glaube an das Leben.
00:51:25Ich glaube an den unendlichen Wert des Lebens, in jedem Augenblick der menschlichen Existenz.
00:51:31Das Leben ist heilig, weil es in Beziehung zu Gott steht.
00:51:36Wenn Sie das Wort heilig heute nicht mehr mögen oder es veraltet für Sie klingt,
00:51:41dann nehmen Sie die Grundwerte unserer Verfassung. Sie schützt das Leben.
00:51:45Ja, das ist ein Verfassungswert und eine Aufgabe des Staates, das ist richtig.
00:51:49Aber ein anderer Wert ist die Selbstbestimmung des Menschen.
00:51:52Natürlich.
00:51:54Selbstbestimmung, Freiheit, aber Solidarität in der Gesellschaft.
00:51:59Solidarität in der Gesellschaft, Fürsorge, Lebensschutz, das sind eben auch Grundwerte.
00:52:05Wir dürfen sie nicht einfach so aufgeben.
00:52:07In unserer Gesellschaft gibt es immer noch ein Tötungstabu, Gott sei Dank.
00:52:12Wenn wir ehrlich sind und das mal auf den Punkt bringen, dann soll dieses Verbot jetzt aufgehoben werden.
00:52:17Ich will das nicht. Ich glaube, es sollte weiterhin verboten bleiben, einen Menschen zu töten.
00:52:23Herr Bischof, wir reden hier nicht von Tötung. Die Tötung auf Verlangen soll strafbar bleiben.
00:52:26Wir diskutieren hier nur, ob es ethisch richtig ist, dass ein Arzt seinen Patienten beim Suizid hilft.
00:52:32Nur? Es ist kurzsichtig zu glauben, dass da noch große Unterschiede bestehen, das eine wird zum anderen führen.
00:52:38Es ist nämlich nicht zu begründen, Suizidbeihilfe zu erlauben, die Tötung auf Verlangen aber zu untersagen.
00:52:44Warum?
00:52:46Stellen Sie sich vor, Sie sind nicht mehr in der Lage, den Suizid selbst durchzuführen.
00:52:52Sie können zum Beispiel das Mittel nicht mehr trinken, weil Sie gelähmt sind.
00:52:54Da nur der assistierte Suizid erlaubt ist, dürfen Sie den Arzt nicht darum bitten, Sie zu töten.
00:53:00Sie sind also schlechter gestellt, nur weil Sie so krank sind, dass Sie sich nicht mehr bewegen können.
00:53:06Ich höre schon die Juristen. So eine Ungleichbehandlung darf nicht sein.
00:53:11Also muss der Weg ganz zu Ende gegangen werden.
00:53:15Wir werden schon bald auch die Tötung auf Verlangen diskutieren und zulassen.
00:53:20Falls das richtig ist, was wären die Folgen, Herr Bischof?
00:53:23Sie wären schrecklich.
00:53:25Stellen Sie sich mal vor, dass ein Mensch überhaupt keinen Willen mehr äußern kann.
00:53:30Er liegt nach einem Unfall auf dem OP-Tisch, die Ärzte sagen, er wird nur schwer geschädigt wieder aufwachen.
00:53:36Sollen wir dann anfangen, den mutmaßlichen Willen dieses Menschen zu erforschen?
00:53:40Oder denken Sie an einen Mann mit Alzheimer?
00:53:45An Ihren Vater? Oder Ihren Onkel vielleicht?
00:53:48Er ist fröhlich, er freut sich über die Sonne und darüber, im Garten zu sitzen, zu essen und jeden Abend den gleichen Film anzusehen.
00:53:58Aber natürlich ist er nicht mehr der gleiche, den Sie gesunden kannten.
00:54:02Frau Dr. Keller, wollen Sie wirklich eine Diskussion darüber, ob es nicht besser für ihn wäre, wenn er stirbt?
00:54:08Er hat ja nie so leben wollen, das hat er oft gesagt.
00:54:12So wird dann in Ihrer Familie diskutiert.
00:54:14Und schon beginnen wir zu beurteilen, ob ein Leben wertvoll ist oder nicht.
00:54:19Unwertes Leben, das war ein Ausdruck der Nationalsozialisten, wir dürfen nie wieder dahin zurück.
00:54:25Sie befürchten eine Veränderung der Gesellschaft.
00:54:28Aber nein, ich befürchte das doch nicht, das ist doch alles andere als eine abstrakte Prognose.
00:54:33Wir leben ja bereits in einer Gesellschaft, in der die Suizidbeihilfe erlaubt ist.
00:54:37Das ist eine andere Gesellschaft.
00:54:40Was ist anders?
00:54:41Innerhalb sehr kurzer Zeit wird der Druck auf alte Menschen wachsen, sich umzubringen.
00:54:47Die Jungen werden sagen, die Alten seien eine Belastung.
00:54:51Sie kosten viel Geld, sie verbrauchen Ressourcen.
00:54:54Sie werden sagen, ihr habt doch nur wirklich lange genug gelebt, euer Alter wird nur beschwerlich sein.
00:55:00Ihr solltet jetzt die von der Verfassung anerkannte Möglichkeit nutzen
00:55:04und euch mithilfe eures freundlichen Hausarztes umbringen.
00:55:07Die Freiheit wird also zum Zwang.
00:55:10Wenn wir das Leben nach seinem Nutzen beurteilen,
00:55:13dann werden wir schon bald wieder beim sogenannten gesunden Volksempfinden sein
00:55:18und festlegen, wen wir nicht in unserer Gemeinschaft wollen.
00:55:22Behinderte, Depressive, Alte, Langsame.
00:55:26Die eigentliche Gefahr eines Dammbruchs liegt hier.
00:55:30Jetzt ist die Selbstbestimmung des Menschen...
00:55:32Ja, ich weiß. Die Selbstbestimmungsenthusiasten.
00:55:36Sie meinen, Sie müssten nicht mehr begründen, ob Sie sterben oder leben wollen.
00:55:39Das stünde Ihnen völlig frei.
00:55:41Dabei gehört natürliches Sterben zum Leben dazu.
00:55:45Man darf sich ihm nicht entziehen.
00:55:47Also ich glaube, niemand will den Suizid selbst verbieten.
00:55:50Aber es zu respektieren, heißt doch nicht, dass wir es als Gesellschaft auch gutheißen müssen
00:55:56und dass wir verpflichtet sind, dabei zu helfen oder es sogar zu fördern.
00:55:59Es bedeutet lediglich, dass wir den Selbstmörder nicht daran hindern.
00:56:03Für die Beihilfe zum Suizid bedarf es eines anderen, eines zusätzlichen Motivs.
00:56:10Und das kann ich nicht erkennen.
00:56:14Im Gegenteil.
00:56:17Im Gegenteil?
00:56:20Wir alle leben in einer Gemeinschaft.
00:56:24In einer Familie, in einem Freundeskreis.
00:56:26In einem Staat.
00:56:29Und jeder, der in einer Gemeinschaft lebt, hat auch eine Verantwortung für sie. Jeder.
00:56:34Das würde aber in der Konsequenz bedeuten, dass das Leben nicht uns alleine gehört.
00:56:38Das tut es auch nicht.
00:56:41Ein Selbstmord ist reiner Egoismus.
00:56:44Er ist rücksichtslos gegenüber allen anderen.
00:56:47Ich halte das offengestanden noch nicht mal für eine Frage der Religion.
00:56:50Es ist schlicht unmoralisch.
00:56:52Sie werden aber zugelegen, dass es Ärzte gibt, die aus Mitleid den Patienten helfen wollen.
00:56:56Sie sehen in der Suizidbeihilfe einen Akt der Nächstenliebe.
00:56:59Das Töten eines anderen Menschen kann noch niemals eine Tat der Liebe sein.
00:57:03Denn es vernichtet ja die Grundlage der Liebe, das Leben.
00:57:07Davon abgesehen, wie viele Menschen gibt es denn, die sich wirklich aus freiem Willen töten.
00:57:11Das ist doch fast immer etwas anderes. Verzweiflung.
00:57:14Weil die Firma pleite ist.
00:57:17Seelische Krisen, psychische Krankheiten.
00:57:19Diese Menschen brauchen Trost und Zuwendung.
00:57:22Nicht einen Arzt, der ihnen hilft, sich umzubringen.
00:57:25Und wenn wir schon von Ansprüchen reden.
00:57:28Die Bürger haben einen Anspruch darauf, dass der Staat sie schützt.
00:57:32Und sie in Würde alt werden und sterben dürfen.
00:57:39Vielen Dank.
00:57:42Danke.
00:57:45Dann zuletzt Herr Biegler, bitte.
00:57:48Herr Bischof, Sie haben eben das angebliche Wächteramt der Kirche erwähnt.
00:57:54Ja, und Sie haben dazwischen geredet.
00:57:57Der Papst ermahnte die Kirche auf dem deutschen Katholikentag,
00:58:01sie solle ihr Wächteramt in der Gesellschaft wahrnehmen.
00:58:05Sie solle, ich zitiere, die Stimme für den Schutz des menschlichen Lebens
00:58:09in jeder Phase von der Zeugung bis zum natürlichen Tod erheben.
00:58:13Das Zitat stammt aus einer Grußbotschaft des Heiligen Vaters, ja.
00:58:17Der Papst nimmt damit Bezug auf Jesaja 62, O Jerusalem,
00:58:22ich habe Wächter über deine Mauern bestellt,
00:58:25die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen.
00:58:30Das ist ein sehr schönes und starkes Bild, finde ich.
00:58:34Ja.
00:58:37Ich verstehe nur nicht, worauf Sie damit hinaus wollen.
00:58:39Nun, 2018 wurde auf der Herbst-Vollversammlung der katholischen Bischöfe
00:58:44eine Studie vorgestellt.
00:58:47Nach ihr haben allein in Deutschland 1670 katholische Kleriker
00:58:523677 meist männliche Minderjährige sexuell missbraucht.
00:58:57Ich weiß.
00:59:00Die Hälfte der Kinder war unter 13 Jahren alt.
00:59:03Die Dunkelziffer ist nicht erfassbar.
00:59:05In den USA sollen sich allein in Illinois fast 700 katholische Geistliche
00:59:10an Kindern vergangen haben.
00:59:13Die Opfer haben unvorstellbares Leid erfahren.
00:59:16Aber Sie verstehen jetzt, was ich meine, oder?
00:59:19Kann Ihre Kirche angesichts solcher Vorfälle
00:59:22noch glaubwürdig in moralischen Fragen sein?
00:59:25Nicht die Kirche hat gesündigt, es waren Einzelne,
00:59:28die diese schrecklichen Taten begangen haben.
00:59:31Das ist doch albern.
00:59:32Die Kirche wird es immer Sünder geben.
00:59:35Die Kirche ist keine Gemeinschaft der Makellosen.
00:59:38Eine Theologenkommission unter der Leitung von Kardinal Ratzinger,
00:59:42dem späteren Papst, hat dazu gesagt,
00:59:45die Kirche ist nicht Sünderin in dem Sinne,
00:59:48dass sie selber Subjekt und Täterin der Sünde ist.
00:59:51Was soll das bedeuten?
00:59:54Sie müssen unterscheiden zwischen einer Kirche der Sünder
00:59:57und der heiligen Kirche.
00:59:59Das verstehe ich nicht.
01:00:02Sünde setzt freihandelnde Personen voraus.
01:00:05Das trifft auf die heilige Kirche nicht zu.
01:00:08Das werden Sie wohl nie jemandem verständlich machen können,
01:00:11schon gar nicht den Opfern.
01:00:14Es gibt auch ein Organisationsverschulden.
01:00:17Nun gut, zu unserem Thema, Herr Bischof.
01:00:30Das ist die Bibel.
01:00:33Danke.
01:00:36Wer hat dieses Buch geschrieben?
01:00:39Menschen, die vom Geist Gottes gesehlt waren.
01:00:42Nach Ihrer Religion brachten diese Menschen
01:00:45die Gedanken Gottes zu Papier.
01:00:48Ist das richtig?
01:00:51So kann man das sagen, ja.
01:00:54Werden in der Bibel Selbstmorde beschrieben?
01:00:56Ja.
01:00:59Ich weiß aber momentan nicht genau, wie viele das waren.
01:01:02Lassen Sie mich nachdenken.
01:01:05Saul, sein Waffenträger, Judas Iskariot.
01:01:08Es sind zehn Selbstmorde, neun im Alten Testament,
01:01:11ein Selbstmord im Neuen Testament.
01:01:14Das könnte stimmen, ja.
01:01:17Jetzt schlagen Sie bitte die Stelle in der Bibel auf,
01:01:20in der Gott den Menschen den Selbstmord verbietet.
01:01:23Und lesen uns die Stelle vor.
01:01:26In der Bibel erklärt Jesus, dass ein Suizid eine Sünde ist.
01:01:29Das kann ich nicht.
01:01:32Wieso nicht?
01:01:35Die Bibel verbietet den Selbstmord nicht.
01:01:38Sie verdammt ihn nicht, sie verurteilt ihn nicht,
01:01:41sie verbietet ihn nicht.
01:01:44An keiner einzigen Stelle in diesem dicken Buch.
01:01:47Nicht ausdrücklich.
01:01:50Und wenn es, wie Sie sagen, nicht ausdrücklich verboten ist,
01:01:53dann erklären Sie uns doch bitte, warum der Suizid
01:01:56bei Hippo?
01:01:59Der Kirchenvater Augustinus ...
01:02:02Augustinus von Hippo?
01:02:05Ja, Augustinus lebte etwa 400 nach Christus
01:02:08und war einer der vier großen Kirchenlehrer der Spätantike.
01:02:11Und was sagt Augustinus vor 1600 Jahren zum Suizid?
01:02:14Das steht in seiner Schrift, Dezimitate D,
01:02:17vom Gottesstaat, 410 nach Christus.
01:02:20Danach bezieht sich das fünfte Gebot ...
01:02:23Du sollst nicht töten.
01:02:26Das Gebot bezieht sich nicht nur auf einen anderen Menschen,
01:02:29sondern auch auf sich selbst.
01:02:32Das Gebot verbietet es, auch sich selbst zu töten.
01:02:35Augustinus glaubte, der Selbstmord sei eine Todsünde.
01:02:38Vielleicht sogar die schlimmste,
01:02:41da der Selbstmörder nicht mehr bereuen könne.
01:02:44Anders als der Mörder, der das ja noch könnte.
01:02:47Der Selbstmörder ist auf ewig verloren.
01:02:50Diese Auffassung teile ich als Christ.
01:02:53Das ist schwer zu verstehen.
01:02:56Der Selbstmord gilt nicht als Selbstmord gegenüber.
01:02:59Im Gegenteil.
01:03:02Im Römischen Reich galt der Selbstmord
01:03:05als natürliches Recht eines jeden freien Menschen.
01:03:08Augustinus vertrat also eine ziemlich extravagante Meinung
01:03:11mit seinem absoluten Tötungsverbot. Wie kam er dazu?
01:03:14Damals gab es viele junge Christen, die dem Märtyrer totsterben wollten.
01:03:17Augustinus wollte das verhindern.
01:03:20Das kann ich verstehen, aber irrte er sich nicht?
01:03:23War es nicht so, dass die Kirche selbst
01:03:26das Tötungsverbot verhindert hat?
01:03:29Ja.
01:03:32Ist das nicht ein Widerspruch?
01:03:35Wenn jemand mordet, soll er dafür getötet werden?
01:03:38Schon dadurch ist das Tötungsverbot nicht mehr,
01:03:41wie Sie oder Augustinus behaupten, absolut.
01:03:44Das ist eine Ausnahme.
01:03:47Eine Ausnahme. Ist das wirklich so?
01:03:50Stand die Todesstrafe nicht z.B. auch auf Menschenraub?
01:03:53Auch sonst war das Töten oft genug nicht verboten.
01:03:56Und so ging es immer weiter.
01:03:59Der Sodomist durfte hingerichtet werden.
01:04:02Zauberinnen durfte man jederzeit erschlagen.
01:04:05Im Krieg durfte man töten.
01:04:08In Notwehr durfte man den anderen auch erschlagen.
01:04:11Wie kommen Sie oder der Papst oder Augustinus
01:04:14dann auf ein absolutes Tötungsverbot?
01:04:17Davon kann aber wirklich nicht die Rede sein.
01:04:20Das ist das alte Testament.
01:04:23Es gibt keine Stelle im Neuen Testament, die die Tötung erlaubt.
01:04:26Wir müssen die alten Gebote Gottes
01:04:29aus der Sicht des Neuen Testaments begreifen.
01:04:32Das ist mir jetzt schon wieder zu kompliziert.
01:04:35Wenn ich Sie richtig verstehe,
01:04:38sollen wir das Gegenteil von dem begreifen, was hier geschrieben steht.
01:04:41Jesu Bergpredigt will keine Tötung.
01:04:44Jesus will die Liebe zu unserem Nächsten, auch zu unserem Feind.
01:04:47Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt...
01:04:50Das beantwortet zwar meine Frage nicht,
01:04:53aber selbst wenn Sie recht hätten,
01:04:56Herr Bischof, Sie wissen es selber,
01:04:59die Kirche hat munter gegen das vermeintlich absolute Tötungsverbot verstoßen.
01:05:02Denken Sie an die sogenannten Heiligen Kriege,
01:05:05an die Hexenverbrennung, an die Tode durch die Folterung in der Inquisition,
01:05:08an die jahrelange Befürwortung der Todesstrafe.
01:05:11Die Todesstrafe wurde im Zweiten Vatikanischen Konzil
01:05:14im Kirchenstaat abgeschafft.
01:05:17Es gilt das Wort Jesu.
01:05:20Noch 1993 stand in Ihrem Katechismus,
01:05:23ich zitiere,
01:05:26die Todesstrafe als die Antwort auf die Schwere einiger Verbrechen
01:05:29und als annehmbares, wenn auch extremes Mittel
01:05:32zur Wahrung des Gemeinwohls akzeptiert wird.
01:05:35Erst 2018 unter Papst Franziskus
01:05:38wurde diese Brutalität abgeschafft.
01:05:41Vielleicht können wir uns darauf einigen,
01:05:44dass die Idee mit dem fünften Gebot
01:05:47nicht gerade Augustinens Glanzleistung war.
01:05:50Aber was gibt es denn sonst für Argumente in Ihrem Glauben
01:05:53gegen den Suizid und die Suizidbeihilfe?
01:05:56Thomas von Aquin?
01:05:59Thomas von Aquin?
01:06:02Der wurde doch erst 800 Jahre nach Augustinus' Tod geboren.
01:06:05Passierte dazwischen nichts?
01:06:08Es gab keine weiteren Argumente, wenn Sie das meinen.
01:06:11Die Kirche übernahm Augustinus' Ansichten.
01:06:14452 nach Christus auf dem Konzil von Arles
01:06:17wurde der Selbstmord zum Verbrechen erklärt.
01:06:2080 Jahre später auf dem Konzil von Orléans
01:06:23wurde beschlossen, dass Selbstmörder
01:06:26die Exkommunikation erfolgen müssen.
01:06:29Was für einen mittelalterlichen Menschen
01:06:32wohl die schlimmste Strafe war.
01:06:35Ja, das stimmt.
01:06:38Auch das Verbot der Bestattung für Selbstmörder
01:06:41brachte viel Leid über die Angehörigen.
01:06:44Mit Zustimmung Ihrer Kirche
01:06:47wurden die Leichen von Selbstmördern noch mal verurteilt.
01:06:50Sie wurden wie Mörder aufgehängt,
01:06:53durch die Straßen gezogen, mit Steinen beworfen.
01:06:56Selbstmördern-Landesherrn zufällig
01:06:59traf also auch gleich die Familie mit.
01:07:02Ja.
01:07:05Na gut, nach 800 Jahren Leid und Qual
01:07:08schrieb Thomas von Aquin endlich etwas Neues.
01:07:11Was sagte er denn zum Suizid?
01:07:14Er lehnte ihn aus drei Gründen ab.
01:07:17Wie könnte es auch anders sein?
01:07:20Zum einen sei der Selbstmord unnatürlich.
01:07:23Jedes Wesen liebe sich von Natur aus selbst.
01:07:26Und zweitens, das ist das wichtigste Argument,
01:07:29das Leben ist ein Geschenk Gottes.
01:07:32Nur er allein
01:07:35darf die Entscheidung über Leben und Tod treffen.
01:07:38Na ja.
01:07:41Na ja?
01:07:44Das erste Argument ist doch Unsinn.
01:07:47Es gibt keinen unbedingten Lebenswillen des Menschen.
01:07:50Das ist eine Behauptung und dazu eine nicht sehr überlegte.
01:07:53Der Selbstmord ist aber immer ein Verstoß gegen die Gemeinschaft,
01:07:56um sie zu hören.
01:07:59Töten sich Menschen nicht gerade oft,
01:08:02weil sie mit der Gemeinschaft nicht zurechtkommen?
01:08:05Das mag so sein, falsch ist es trotzdem.
01:08:08Es ist die Pflicht des Menschen, der Gemeinschaft zu dienen.
01:08:11Vielleicht einer Gemeinschaft, die diese Dienste auch will,
01:08:14aber das dritte Argument war für sie ja das Wichtigste.
01:08:17Es gilt unbeschränkt.
01:08:20Natürlich, wieder etwas Absolutes.
01:08:23Gott, sagt Thomas von Aquin, hat das Leben gegeben,
01:08:26wenn das Stimmungsrecht entzogen ist,
01:08:29so ist es auch das Lebensende.
01:08:32Das Leben ist Gottes Geschenk an Sie.
01:08:35Geschenke darf man zurückgeben? Nein.
01:08:38Nur Gott selbst darf darüber verfügen.
01:08:41Das ist aber ein merkwürdiges Geschenk.
01:08:44Sie erklären hier, Gott allein ist Herr über Leben und Tod.
01:08:47Der Mensch dürfe nicht eingreifen.
01:08:50Sie zitieren den Papst und die Bibel,
01:08:53das Leben sei sein Geschenk an uns und so weiter.
01:08:56Aber Gott darf das Leben verlängern.
01:08:59Im 19. Jahrhundert lag die durchschnittliche Lebenserwartung
01:09:02noch bei 40 Jahren.
01:09:05Inzwischen ist sie auf 71, in den entwickelten Ländern
01:09:08sogar auf 81 Jahre gestiegen.
01:09:11Damals starb ein Drittel der Kinder vor seinem 5. Geburtstag.
01:09:14Heute sind es selbst in den ärmsten Ländern nur 10%.
01:09:17Der Grund dafür ist nicht, dass Gott plötzlich netter wurde.
01:09:20Der Grund sind die Fortschritte der Medizin und der Aufklärung.
01:09:23Aber nach ihrer Argumentation
01:09:26und den Angriffen in die Souveränität Gottes,
01:09:29das erscheint mir absurd.
01:09:32Sie würden doch auch nicht sagen, dass eine Reanimation
01:09:35oder ein Herzschrittmacher Gottes Rechte schmälern, oder?
01:09:38Sie verdrehen alles.
01:09:41Ich glaube, es geht Ihnen eigentlich um etwas ganz anderes.
01:09:44Hat Augustinus nicht auch geschrieben,
01:09:47der Mensch dürfe als Soldat Christi nicht desertieren?
01:09:50Das ist seine Formulierung, ja.
01:09:53Das heißt, er muss alles Elend ertragen und darf nicht aufgeben.
01:09:56Der Mensch muss stark sein
01:09:59und darf nicht in Sünde sterben.
01:10:02Woher kommt Sie, die Idee der Sünde?
01:10:05Ihre Ablehnung des assistierten Suizids
01:10:08ist ja ohne diesen Begriff gar nicht zu verstehen.
01:10:13Die Sünde ist die Übertretung eines göttlichen Gebots.
01:10:17Soweit ich das verstehe,
01:10:20ist Jesus Christus ja bereits für unsere Sünden gestorben.
01:10:23Um uns davon zu erlösen, ja.
01:10:26Aber es gab eine letzte Verfehlung, die Erbsünde.
01:10:29Die Erbsünde trennte den Menschen von Gott
01:10:32und erst durch Christus wird diese Trennung wieder geheilt.
01:10:35Adam und Eva haben Sie begangen.
01:10:38Sie aßen von der Frucht des verbotenen Baumes Gottes Strafe.
01:10:41Der Mensch muss ins Elend, in diese kalte Welt.
01:10:44Und er wird sterblich.
01:10:47Aber Gott verurteilte nicht nur Adam und Eva,
01:10:50sondern darüber hinaus auch alle ihre Nachkommen.
01:10:53Das ist mit Erbsünde gemeint, ja.
01:10:56Den Grundsatz, dass Strafe persönliche Schuld voraussetzt,
01:10:59lässt ihr Gott nicht gelten.
01:11:02Die Erbsünde ist ein Zustand, keine persönliche Tat.
01:11:05Wir werden damit geboren.
01:11:08Die Geschichte von Adam und Eva ist keine historische Wirklichkeit,
01:11:11sondern ein Symbol für die Menschheit an sich.
01:11:14Ein sehr grausames, finde ich.
01:11:17Also wenn ich das richtig verstehe,
01:11:20lässt sich Jesus Christus für diese Sünde foltern
01:11:23und ans Kreuz nageln.
01:11:26Ich kann das nie ganz verstehen.
01:11:29Noch dazu trägt Gott selbst ja die Verantwortung für diese Erbsünde.
01:11:32Er hat den Baum der Erkenntnis gepflanzt
01:11:35und die bösartige Schlange geschaffen.
01:11:38Wenn man es nüchtern betrachtet,
01:11:41dann setzte er also den Anreiz für diese Erbsünde.
01:11:44Dann lässt er sich in Gestalt Jesu Christus ans Kreuz nageln
01:11:47und vergibt uns so die Schuld, die er selbst verursacht hat.
01:11:50Das Ganze klingt ein wenig irrsinnig, finden Sie nicht?
01:11:53Wenn Gott uns die Sünden vergeben wollte,
01:11:56warum hat er es nicht einfach getan?
01:11:59Warum diese ganze, furchtbar komplizierte,
01:12:02grausame, blutige, unlogische und vor allem traurige Geschichte?
01:12:06Und wenn ich das sagen darf,
01:12:09wozu gibt es diese Sünden eigentlich?
01:12:12Außer dafür, dem Menschen das Leben zu vermiesen
01:12:15und ihn klein und hässlich zu machen?
01:12:18Das tut Gott nicht und Sie sollten mit Ihren Frechheiten aufhören.
01:12:21Wir drehen uns im Kreis.
01:12:23Also ich frage Sie noch einmal anders
01:12:26und ich hoffe, dass es in Ihren Ohren nicht wieder unverschämt klingt.
01:12:32Ist es denn nicht richtig, für den Menschen nach Glück zu streben
01:12:36und Leid zu vermeiden?
01:12:39Ist das nicht sein Wesen, seine Natur?
01:12:42Ist menschliches Leid nicht etwas ganz und gar Sinnloses?
01:12:53Ich...
01:12:56Herr Bischof?
01:13:04Leben heißt leiden.
01:13:07Wie bitte? Ich habe Sie nicht verstanden.
01:13:10Leben bedeutet zu leiden, Herr Biegler.
01:13:14Das Christentum, wenn man das ernst nimmt,
01:13:18ist die Religion des Leidens.
01:13:20Das ist schwer und passt nicht in die Moderne.
01:13:27Sie haben in vielem Recht.
01:13:30Die Aufklärung hat in vielem Recht.
01:13:34Vielleicht überzeugen die Worte von Augustinus und Thomas von Aquin
01:13:38die Menschen heute nicht mehr.
01:13:41Sie verstehen diese Worte kaum noch.
01:13:44Aber es gibt den Glauben, mein Glauben.
01:13:48Leiden ist schrecklich, oft kaum zu ertragen, ja.
01:13:53Aber das Leiden des gläubigen Christen ist nie eine Strafe.
01:13:59Sein Leid hat nichts mit Rache zu tun.
01:14:03Es ist... Ja, es ist Reinigung.
01:14:07Reinigung? Ja.
01:14:12Herr Biegler, Sie...
01:14:14Sie haben sich gegen den Paragraphen 217 engagiert
01:14:18und Sie haben schließlich Ihr Ziel ja auch erreicht.
01:14:22Aber kennen Sie wirklich die Geister, die Sie da riefen?
01:14:26Wissen Sie wirklich, was das bedeutet?
01:14:29Sagen Sie es mir.
01:14:32Seit zwei Jahren kommt fast täglich eine junge Frau in meine Kirche.
01:14:38Sie... Sie setzt sich immer auf den gleichen Platz.
01:14:41Sie kniet nicht, betet nicht, sie zündet keine Kerze an.
01:14:47Und?
01:14:50Vor zwei Monaten habe ich sie angesprochen, sie hatte mich neugierig gemacht.
01:14:54Und was hat sie gesagt?
01:14:57Sie ist 31 Jahre alt.
01:15:00Vor sechs Jahren, mit 25, hat sie ein Kind überfahren.
01:15:04Einen kleinen Jungen.
01:15:07Er war sofort tot.
01:15:09Sie konnte nichts dafür.
01:15:12Der Junge war zwischen zwei Autos, einem Ball hinterhergelaufen.
01:15:16Sie wurde auch nicht angeklagt, aber...
01:15:19Sie hielt es nicht aus.
01:15:22Ihr Leben stürzte völlig in sich zusammen.
01:15:25Sie war in einer Klinik, sie...
01:15:28Sie ging in Therapie, nahm Medikamente, nichts nützte was.
01:15:33Sie trennte sich von ihrem Mann und sogar von allen ihren Freunden.
01:15:36Sie nahm einen Job an.
01:15:39Die stupideste Arbeit, weil sie nicht mehr nachdenken wollte oder konnte.
01:15:44Verstehe.
01:15:47Diese junge Frau will sterben.
01:15:51Sie sagt, ihr Leben sei vorbei.
01:15:55Und sie hat einen Satz gesagt,
01:15:59der mir wirklich überhaupt nicht mehr aus dem Kopf geht.
01:16:03Sie hat gesagt,
01:16:07alle haben mir verziehen,
01:16:10aber ich selber kann mir nicht verzeihen.
01:16:19Herr Gärtner, wie... Entschuldigung.
01:16:22Wie alt sind Sie?
01:16:25Ich? 78.
01:16:2878, ja. Ihnen würden ja sicher noch ein paar...
01:16:31gute Jahre bleiben, die Sie jetzt wegwerfen wollen.
01:16:35Verzeihen Sie bitte, das ist traurig genug.
01:16:38Aber diese junge Frau hat das ganze Leben noch vor sich.
01:16:42Sie könnte eine Familie gründen, sie kann wieder heiraten, Kinder kriegen.
01:16:46Sie kann wieder glücklich werden.
01:16:49Und jetzt frage ich Sie, Herr Bieler.
01:16:52Und ich frage Sie, meine Damen und Herren.
01:16:55Wollen Sie wirklich dieser jungen Frau die Hand dazu reichen?
01:16:59Wollen Sie wirklich einer 31-Jährigen ein Medikament geben, das sie tötet?
01:17:08Das ist nicht die Frage.
01:17:11Ein Selbstmörder, der sich gegen das Leiden auflehnt,
01:17:14lehnt sich gegen den Sinn seines eigenen Lebens auf.
01:17:17Er verneint sich selbst.
01:17:20Die moderne Gesellschaft glaubt, im Glück liege der Sinn des Lebens.
01:17:24Und nur der Mensch sei ganz frei,
01:17:26der auch über seinen Tod entscheidet.
01:17:29Aber das ist grundfalsch.
01:17:32Ich glaube an Jesus Christus.
01:17:37An den Mann, der das Kreuz auf sich genommen hat.
01:17:41Dieses Kreuz zu tragen, ist der wirkliche Sinn unseres Lebens.
01:17:46Echte Freiheit kann man nur dadurch gewinnen,
01:17:50dass man sich dem Willen Gottes fügt.
01:17:52Aus seiner Hand können wir nicht fallen.
01:17:58Sie haben recht, Herr Bieler.
01:18:01Der christliche Glaube ist nicht vernünftig.
01:18:04Er ist nicht aufgeklärt, nicht logisch.
01:18:07Er erkennt keinen Kompromiss.
01:18:10Er verlangt uns etwas ab, was heute kaum mehr auszusprechen,
01:18:15kaum mehr verständlich ist,
01:18:17nämlich das Leben mit all seinem Leid bis zum Ende zu ertragen
01:18:22und daraus seinen Sinn zu schöpfen.
01:18:37Herr Bischof, Ihr Bekenntnis beeindruckt mich.
01:18:41Und ich glaube,
01:18:43Sie auch ein wenig zu verstehen.
01:18:46Aber ...
01:18:49Verzeihen Sie,
01:18:52Sie werden mir zustimmen, wenn ich sage,
01:18:55dass Ihr Bekenntnis einen ganz bestimmten Glauben
01:18:58an einen ganz bestimmten Gott voraussetzt.
01:19:01Ja, das tut es.
01:19:08Ich habe keine Fragen mehr.
01:19:10Vielen Dank.
01:19:13Wir beenden mit den Worten von Bischof Thiel
01:19:16die Anhörung der Sachverständigen.
01:19:19Vielen Dank, Frau Prof. Litten, Herr Prof. Sperling,
01:19:22Herr Bischof Thiel und Frau Dr. Brandt,
01:19:25dass Sie sich die Zeit genommen haben.
01:19:28Wir hören jetzt die Schlussvorträge von Frau Dr. Keller
01:19:31und von Herrn Bieler.
01:19:34Bitte, Frau Dr. Keller. Danke.
01:19:41Vor einigen Jahren musste der oberste Gerichtshof
01:19:44der Vereinigten Staaten über die Sterbehilfe entscheiden.
01:19:47Es war ein schwieriges, aber auch ein sehr interessantes Verfahren.
01:19:51Sechs Philosophen haben der Gericht ein Schreiben eingereicht.
01:19:55Und sie erklärten darin, der freiheitliche Staat
01:19:58müsse sich aus moralischen und religiösen Debatten heraushalten,
01:20:01weil es allein das Recht des Bürgers sei,
01:20:04zu entscheiden, wie er leben und auch wie er sterben würde.
01:20:07Die Philosophen meinten eine so schwerwiegende Entscheidung
01:20:10für das Sterben müsse frei von der, so wörtlich,
01:20:13Zumutung irgendwelcher religiöser oder philosophischer Vorgaben
01:20:17seitens Justiz oder Gesetzgebung sein.
01:20:20Das ist ja auch im Wesentlichen das Argument von Herrn Gärtner.
01:20:23Ich weiß, das klingt attraktiv und viel moderner als Bischof Thiel.
01:20:27Das entspricht dem Zeitgeist.
01:20:30Die meisten Menschen dürfen die Einstellung der Philosophen teilen.
01:20:33Wir haben ja zumindest in der westlichen Welt
01:20:36die größte persönliche Freiheit, die es jemals gegeben hat.
01:20:38Wir leben unabhängiger und selbstbestimmter
01:20:41als jede Generation vor uns.
01:20:44Und auch das Leben will man jetzt selbstbestimmt beenden.
01:20:47Und der Arzt soll dabei helfen.
01:20:50Selbstbestimmung ist ein hoher Wert.
01:20:53Das zweifelt niemand an.
01:20:56Aber der Mensch ist ebenso auf Liebe,
01:20:59auf Schutz und auf Gemeinschaft angewiesen.
01:21:02Und es wäre dumm zu behaupten,
01:21:04wir seien von der Geburt bis zum Tod nicht voneinander abhängig.
01:21:08Es gibt keine Pflicht zu leben.
01:21:11Das ist eine höchst persönliche Entscheidung
01:21:14und der Staat muss sich dort raushalten.
01:21:17Aber die Abhängigkeit der Menschen voneinander,
01:21:20die gebietet ist, dass wir dem Sterbewilligen
01:21:23nicht helfen, sich zu töten,
01:21:26sondern dass wir ihm in den Arm fallen
01:21:29und ihn versuchen, davon abzuhalten.
01:21:31Ich glaube, es steht über unserem Recht,
01:21:34weil es unsere Gemeinschaft erst begründet hat.
01:21:37Nur wenn wir nämlich das Leben des Anderen
01:21:40bis zu seinem natürlichen Tod bejahen,
01:21:43nur dann können wir diese menschliche Gemeinschaft auch sein.
01:21:46Der Suizidhelfer sagt im Grunde,
01:21:49es ist richtig, dass du nicht mehr lebst.
01:21:52Und das ist ein furchtbarer Satz,
01:21:55weil er unser sittliches Fundament zerstört.
01:21:58Ich hoffe, dass das Recht
01:22:01der Hilfe nicht zu einer Pflicht wird.
01:22:04Ich weiß, Solidarität ist kein Begriff,
01:22:07der in das moderne Leben passt.
01:22:10Aber ohne sie, ohne diese Solidarität
01:22:13verlieren wir das, was uns ausmacht.
01:22:16Die Menschlichkeit.
01:22:21Vielen Dank.
01:22:24Vielen Dank, Frau Dr. Keller.
01:22:27Dann bitte Herr Biegler.
01:22:29In wenigen Jahren werden wir alle tot sein.
01:22:32Die meisten von uns sterben an einer Herz-Kreislauf-Krankheit
01:22:36und ebenso viele an Krebs.
01:22:39Unser Leben endet höchstwahrscheinlich in einem Krankenhaus.
01:22:43Nur jeder fünfte von uns stirbt in einer Pflegeeinrichtung
01:22:48und nur ein Viertel dort,
01:22:51wo die meisten Leute es auch wollen, zu Hause.
01:22:54Meine sehr verehrten Damen und Herren,
01:22:56wenn Sie sich kurz zurücklehnen,
01:22:59dann wird Ihnen auffallen, dass es hier nur eine Frage gibt.
01:23:03Es geht nicht um Beihilfe.
01:23:06Es geht nicht um unterlassene Hilfeleistung.
01:23:09Es geht nicht um Tötung auf Verlangen
01:23:12oder sonst irgendeinen Begriff,
01:23:15den sich Juristengehirne in den letzten Jahrhunderten ausgedacht haben.
01:23:19Es geht hier nur um eine einzige, sehr einfache und klare Frage.
01:23:23Und diese Frage, meine sehr verehrten Damen und Herren,
01:23:26wem gehört unser Leben?
01:23:29Wem gehört unser Leben?
01:23:32Gehört es einem Gott, dem Staat, der Gesellschaft,
01:23:36der Familie, den Freunden oder gehört es uns selbst?
01:23:41In meinen ja bald 20 Jahren als Strafverteidiger
01:23:45habe ich nur eines wirklich begriffen.
01:23:48Der Mensch ist ein ambivalentes Wesen.
01:23:51Wir alle sind gut und böse zugleich
01:23:53und bilden trotzdem ein halbwegs plausibles Ganzes.
01:23:57Das ist mit unserer Gesellschaft nicht anders.
01:24:00Sie ist nicht homogen, sie ist gespalten,
01:24:04sie ist gegensätzlich, vielschichtig und völlig uneins.
01:24:09Wir glauben heute an Gott, Allah, Buddha,
01:24:13an das fliegende Spaghetti-Monster oder nur an uns selbst.
01:24:18Aber was uns als aufgeklärte Gesellschaft verbindet,
01:24:23ist, dass wir letztgültig nie wissen werden,
01:24:26was richtig und falsch ist.
01:24:28Absolute Urteile über die Welt gibt es nicht.
01:24:32Meine Damen und Herren, wie Sie wissen,
01:24:35ich bin kein Philosoph, aber könnte es nicht vielleicht genau das sein,
01:24:40was uns als europäische, als westliche Gesellschaft heute ausmacht?
01:24:43Nicht der zwanghafte Konsens,
01:24:46sondern den friedlichen Dissens auszuhalten?
01:24:50Ich bin dankbar, wie das Bundesverfassungsgericht geurteilt hat.
01:24:55Dieses Urteil ist Aufklärung.
01:24:58Aufklärung im besten, im eigentlichen Sinn.
01:25:02Es ist lebensfreundlich, weil es vom Tode weiß.
01:25:07Es ist menschlich, weil es unser Leiden versteht.
01:25:12Nach Jahrhunderten im Dunkeln können wir endlich frei sein.
01:25:16Wir brauchen keine Angst zu haben vor der Freiheit der Menschen.
01:25:22Am 22. September 2007 nahm sich der Schriftsteller André Gors
01:25:29gemeinsam mit seiner Frau das Leben.
01:25:32Zwei Jahre zuvor schrieb er an seine Frau einen Brief.
01:25:36Erlauben Sie mir, kurz aus dem zu zitieren.
01:25:41Soeben bist du 82 geworden,
01:25:44und immer noch bist du schön, anmutig und begehrenswert.
01:25:49Seit 58 Jahren leben wir nun zusammen,
01:25:53und ich liebe dich mehr denn je.
01:25:56Kürzlich habe ich mich von Neuem in dich verliebt,
01:26:00und wieder trage ich in meiner Brust diese zehrende Leere,
01:26:04die einzig die Wärme deines Körpers an dem Meinen auszufüllen vermag.
01:26:09Nachts sehe ich manchmal die Gestalt eines Mannes,
01:26:13der auf einer leeren Straße in einer öden Landschaft
01:26:17hinter einem Leichenwagen hergeht.
01:26:20Dieser Mann bin ich, und du bist es, die der Leichenwagen wegbringt.
01:26:26Ich will nicht bei deiner Einäscherung dabei sein,
01:26:30ich will kein Gefäß mit deiner Asche bekommen.
01:26:33Ich lausche auf deinen Atem, meine Hand berührt dich.
01:26:39Jeder von uns möchte den anderen nicht überleben müssen.
01:26:44Meine verehrten Damen und Herren,
01:26:47wem, wenn nicht uns, gehört unser Sterben?
01:26:56Ich danke Ihnen.
01:27:03Halten Sie es für richtig, dass Herr Gärtner
01:27:07Natrium pentobarbital bekommt, um sich töten zu können?
01:27:11Das ist die Frage, die wir uns stellen müssen.
01:27:15Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig gesagt,
01:27:19dass es keinen Unterschied mache,
01:27:22ob ein gesunder Mensch oder ein todkranker sterben möchte.
01:27:26Der Arzt kann beim Suizid helfen, ist aber nicht dazu verpflichtet.
01:27:29Der Gesetzgeber mag später einmal Regeln aufstellen,
01:27:33die Missbrauch verhindern und den freien Willen prüfen.
01:27:37Uns hier und jetzt geht es aber nur um die grundsätzliche,
01:27:41um die ethische Frage.
01:27:44Halten Sie es für richtig, einem gesunden Menschen
01:27:47ein tödliches Medikament zu geben?
01:27:50Würden Sie es tun, wenn Sie Arzt wären?
01:27:54Würden Sie Herrn Gärtner Natrium pentobarbital verabreichen,
01:27:57wenn Sie wissen, dass er damit aus dem Leben scheiden wird?
01:28:01Herr Gärtner ist 78.
01:28:04Würden Sie das Medikament einer 30-jährigen Frau geben?
01:28:11Jeder einzelne von Ihnen kann diese Fragen
01:28:15nach seinen ethisch-moralischen und religiösen Vorstellungen beantworten.
01:28:19Es geht hier ausschließlich um Ihre persönliche Einstellung,
01:28:23nicht um das Recht.
01:28:25Herr Gärtner, wir haben nun die ganze Zeit
01:28:29auch über Ihren persönlichen Sterbewunsch gesprochen.
01:28:33Möchten Sie selbst noch etwas sagen?
01:28:36Ich möchte mich bedanken.
01:28:39Denn Sie haben mir zugehört.
01:28:42Und Sie werden über diese Fragen nachdenken.
01:28:46Und ich bin fest davon überzeugt, dass die Dinge besser werden,
01:28:50wenn offen und frei über sie gesprochen wird.
01:28:53Ja, danke.
01:29:00Vielen Dank, Herr Gärtner.
01:29:03Die Diskussion über diese schwierige Frage hat gerade erst begonnen.
01:29:07Ihr Ausgang scheint offen zu sein.
01:29:10Herr Biedler hat gefragt,
01:29:13wem unser Leben und unser Sterben gehören soll.
01:29:17Ich kann das nicht für Sie beantworten,
01:29:19aber ich weiß sicher, dass es unser Staat ist,
01:29:22unsere Gesellschaft und unsere Zukunft,
01:29:25über die wir hier streiten.
01:29:28Elisabeth Gärtner hat ihren Mann gebeten,
01:29:31das Richtige zu tun.
01:29:34Aber was ist das Richtige?
01:29:37Meine Damen und Herren, ganz herzlichen Dank.
01:29:41Die heutige Sitzung des Ethikrates ist damit geschlossen.
01:29:49Vielen Dank.
01:30:19Untertitel der Amara.org-Community

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